Die Konsumenten – „Treiber“ des Umweltverbrauchs?

Autor/innen

  • Roland Bogun

Schlagworte:

Nachhaltiger Konsum, Umweltverbrauch, Konsumentenverantwortung

Abstract

Während zu Beginn der Umweltdebatte unstrittig „die“ Industrie als Hauptverursacher regionaler und globaler Umweltprobleme ausgemacht war, richtet sich das Hauptaugenmerk inzwischen zunehmend auf den Konsum und die Rolle der Konsumenten. Dafür gibt es gute Gründe. Ein problematisches und einseitiges Bild entsteht allerdings dann, wenn dabei die Unternehmen und andere relevante Akteure völlig in den Hintergrund geraten und die Konsumenten als die einzigen oder eigentlichen Verursacher der ökologischen Krise erscheinen. Im vorliegenden Diskussionsbeitrag sollen deshalb einige Thesen, Forschungsbefunde und Forschungslücken zum Thema „Konsumentenverantwortung“ aufgezeigt bzw. diskutiert werden.

Auch in der Nachhaltigkeitsforschung wird der Konsum/die Konsumenten teilweise als das eigentliche Hauptproblem bzw. die eigentliche Ursache der Umweltkrise dargestellt – explizit oder dadurch, dass die Rolle weiterer Akteure ausgeblendet bleibt. Andere Beiträge thematisieren zwar auch die Rolle der Unternehmen, rechnen aber auch die im Herstellungsprozess erzeugten Umweltbelastungen dem Konsum zu. Dies gilt auch für konsumorientierte (Footprint-) Ansätze in der Ökobilanzforschung. In einer weiteren Gruppe von Beiträgen wird schließlich die Rolle der Produktion durchaus problematisiert, allerdings richtet sich auch hier der Fokus wieder primär auf die Konsumenten, indem ihnen die Rolle des „Motors“ oder „Treibers“ der Produktion und des Wirtschaftswachstums zugewiesen wird. Gleichwohl entstehen die meisten Umweltbelastungen nach wie vor im Bereich der Produktion, die Konsumenten sind hieran also nur indirekt beteiligt. Und auch das Bild von den Konsumenten als „Treibern“ der Produktion ist nur bedingt plausibel, bleiben hierbei doch die Interessen und Strategien anderer - nicht selten einflussreicherer - Akteure (Industrie, Handel, Werbung, Politik) unberücksichtigt.

Forschungsdefizite (und wenig plausible Annahmen) bestehen insbesondere bezüglich der Ausprägungen und sozialen Verteilung der mit dem Konsum verschiedener sozialer Gruppen und Haushaltstypen verbundenen Umweltwirkungen – jenseits nationaler durchschnittlicher Pro-Kopf-Verbräuche. Ebenfalls erst in Ansätzen liegen Diskussionsbeiträge und Befunde über die ökologische Relevanz nicht nur von Konsumausgaben, sondern auch von Ersparnissen und Kapitalanlagen vor. Beide Themen verweisen darauf, dass die ökologische Krise ebenso wie im internationalen auch im nationalen Maßstab (auch) ein Wohlstands- und damit auch ein Gerechtigkeitsproblem darstellt. Bezüglich der Rolle der Konsument/innen als Problemlöser wird abschließend insbesondere darauf hingewiesen, dass zwar häufig eine direkte ökologische Wirkung von Veränderungen im Konsumentenverhalten unterstellt (und z.B. mit Footprint-Rechnern berechnet) wird, diese aber keineswegs vorausgesetzt werden kann.

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Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Sektion Umweltsoziologie: Metamorphosen der ökologischen Krise