Editorial

Autor/innen

  • Georg Vobruba

Schlagworte:

Robert Gernhardt, Hans-Georg Soeffner

Abstract

Für H.-G. S., 

liebe Kolleginnen und Kollegen, 

hätte man sich diese Geschichte nicht schöner ausdenken können.  

Robert Gernhardt, dem im Jahr 2006 verstorbenen Dichter und Zeichner, verdanken wir unter zahllosen wunderbaren Gedichten auch dieses: »Der Kragenbär, der holt sich munter / einen nach dem andern runter.«Die Zeichnungen zu dem Vers zeigen einen Kragenbären von schräg hinten. »Mit was sich der Bär da brustseitig genau beschäftigt, sieht man auf den Bildern nicht – geistig wache Göttinger Studenten werden sich aber zurecht fragen, warum das Raubtier so einen roten Kopf hat und so eine entrückte Miene.« Das ist die sehr kompetente Beschreibung der Konstellation in der Süddeutschen Zeitung vom 14./15. August 2014. »Lust zur Nichtlust« kann man dem Kragenbären jedenfalls nicht nachsagen.2

Dass daraus aber eine Angelegenheit wird, über die im politischen Teil der SZ berichtet wird, ist doch erstaunlich. Andererseits, es handelt sich tatsächlich um ein politisches Problem, und sei es nur deshalb, weil politische Parteien involviert sind.

Aber was ist eigentlich passiert?

»Die Elche«, eine Göttinger Gruppe, die sich nach einer Tierart benannt hat, welcher der Dichter ebenfalls zugetan war, hat eine Initiative für ein Robert-Gernhardt-Denkmal gestartet. Der Einfachheit halber sollte es auf dem seit 2013 so benannten Robert-Gernhardt-Platz in Göttingen aufgestellt werden. Ergebnis der Initiative ist eine »kühlschrankgroße« Statue, mit der Siegfried Böttcher, Bildhauer aus Kassel, den Kragenbären von vorne zeigt und damit Klarheit schafft. Testweise wurde ein 18 cm großes Modell ausgestellt. Da war was los! »Meines Erachtens gibt es keine tiefergehende Botschaft bei diesem onanierenden Bären als den sexuellen Tabubruch«, zitiert die SZ die Göttinger SPD-Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck. Rolf-Georg Köhler, mittlerweile SPD-Oberbürgermeister der Stadt, dagegen fand es »toll«, dass über das Denkmal öffentlich diskutiert wird. Die CDU teilte im Sommer 2014 mit, sie habe sich »abschließend noch kein Bild« gemacht.  

Da also politische Parteien in den Fall involviert sind, handelt es sich um eine konflikthafte Angelegenheit. Allerdings ist der Konflikt nicht wohlsortiert, etwa der Unterscheidung zwischen rechts und links oder Kapital und Arbeit folgend, sondern er verläuft irgendwie quer. Die SZ meinte, es sei ein Konflikt zwischen den Geschlechtern. Das ist eine mögliche, wenn auch die Geschlechterfrage unzulässig auf einen binären Schematismus verkürzende, keineswegs aber die einzige Lesart. Denn es fällt unmittelbar ins Auge, dass sich Personen mit Bindestrich im Familiennamen gegen, Personen mit Bindestrich im Vornamen aber für das Bär-von-vorne-Denkmal positionierten. Zu Hans-Georg Soeffner, der im Herbst 2014 seinen 75. Geburtstag feierte, von hier aus eine Brücke zu schlagen, ist ein Leichtes. Sozusagen eine Brücke über den »Bärengraben« (SZ).  

Was ist der heutige Stand? 

Das Denkmal wird aufgestellt. Das Ergebnis der Abstimmung im Kulturausschuss des Stadtrates lautet: 8 Ja, 1 Nein. Die Delta Bau AG aus Hannover, Eigentümerin des Platzes (?!) »ist einverstanden. Solange die Skulptur vor Graffiti geschützt ist und die Stadt die Unterhaltungskosten trage.« (Göttinger Tageblatt vom 16. September 2014) »Bald steht er«, textete der Spiegel. Na ja.  

 Robert Gernhardt hat dem Kragenbären noch ein weiteres Gedicht gewidmet. Es beginnt so: »Der Kragenbär in seinem Kragen / weiß nichts vom Singen und vom Sagen / Nie sang er auch nur einen Ton / von Sängern dacht’ er voller Hohn […]«, kommt dann mit kritischem Unterton auf des Kragenbären Artikulationsunfähigkeit (-unwilligkeit?) angesichts der Schönheit der Welt zu sprechen und schließt: »Wie anders Goethe, Kant und Benn / die weniger Verschwiegenen! / Sie ehret heute Flott und Heer / vom KRAGENBÄR spricht niemand mehr.«3 Heute wissen wir: Hier irrt der Dichter. Göttingen sei Dank.  

Ihr  

Georg Vobruba 

 

Literaturhinweise

[1] Robert Gernhardt, F. W. Bernstein 1976, Besternte Ernte. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, S. 65. 
[2] Hans-Georg Soeffner 2010, Lust zur Nichtlust. Transformationen der Askese. In ders., Symbolische Formung. Eine Soziologie des Symbols und des Rituals. Weilerswist: Velbrück, S. 158
[3] Robert Gernhardt 1999, Gedichte. Zürich: Haffmanns Verlag, S. 16 (Herv. i. O.)  

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Veröffentlicht

2015-01-01

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