Methodische Herausforderungen der quantitativen und qualitativen Datenerhebung bei Geflüchteten

Autor/innen

  • Sonja Haug Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
  • Susanne Lochner Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
  • Dominik Huber Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Schlagworte:

Migration, Flüchtlinge

Abstract

Mit der Zunahme an Geflüchteten in Deutschland geht ein erhöhtes Bedürfnis nach empiri-schen Daten zu den angekommenen Menschen einher. Eine valide Datengrundlage ist Vo-raussetzung zu einem besseren Verständnis über Beweggründe, soziostrukturelle Voraus-setzungen und Einstellungen der Geflüchteten und kann dazu beitragen, eine Integration in die Aufnahmegesellschaft an die Bedürfnisse und Kompetenzen der Flüchtlinge anzupassen. Des Weiteren können nach wissenschaftlichen Kriterien erhobene Daten zu einem Abbau von gesellschaftlichen Vorurteilen führen.

Hieraus ergibt sich die Herausforderung, Instrumente zu entwickeln, um empirische Daten unter erschwerten Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu erheben. Aufgrund der aktuellen, teils unklaren Datenlage über Asylsuchende in Deutschland gibt es keine Aus-wahlgrundlage für eine bundesweite Zufallsstichprobe. Traumatische Erfahrungen in der Hei-mat und auf der Fluchtroute, beengte Unterbringung in Unterkünften sowie unsichere Zu-kunftsaussichten erfordern einen sensiblen Umgang mit den Befragten. Des Weiteren lässt sich eine relativ hohe Zahl an Analphabeten, eine große sprachliche Vielfalt und unterschied-liche Wertvorstellungen unter den Geflüchteten vermuten, was innovative Strategien erfor-dert, um valide Daten zu erheben.

Der Beitrag basiert auf Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt „Asylsuchende in Bayern“, einer Pilotstudie, die von der Hanns-Seidel Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Die Studie hat zum Ziel, in Bayern lebende Flüchtlinge in Bezug auf Erfahrungen, Einstellungen und Bleibe-absichten zu beschreiben und zu charakterisieren. Eine standardisierte Befragung erhebt Werteorientierung, Religiosität und Bleibeabsichten von 780 Asylsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und dem Irak in Nürnberg und dem Münchner Umland. In persönlich-mündlichen Interviews werden zudem 12 exemplarische Biographien erhoben. Die Rekrutierung der Teilnehmer basiert auf einem Gatekeeper-Ansatz.

Im Rahmen des Beitrags werden insbesondere methodische Aspekte der Stichprobenziehung und Erfahrungen aus der Datenerhebung in Flüchtlingsunterkünften diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Diskussion der Bedeutung von Übersetzung, Dolmetschen und Sprachmittlung in allen Phasen der Erhebung sowie von Effekten sozialer Erwünschtheit oder der Kulturabhängigkeit des Antwortverhaltens.

Autor/innen-Biografien

Sonja Haug, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Dipl-Soz. (1995, Universität Mannheim), Dr. phil. (2000; Universität Mannheim), Habilitation (2007; Universität Mainz), Professorin für Empirische Sozialforschung an der OTH Regensburg

Susanne Lochner, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Dipl.-Geogr. (Humboldt Universität Berlin), Dr. phil. (2015, Ruhr Universität Bochum), Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Asylsuchende in Bayern"

Dominik Huber, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Diplom Geographie (2007, Humboldt-Universität Berlin), 
PhD (2014, Auckland University of Technology), Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Asysuchende in Bayern"

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Veröffentlicht

2017-09-07

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Geflüchtete als Herausforderung für die empirische Sozialforschung