Zwischen rechtlicher Gleichstellung und Heteronormativität – Mütter-Paare, Mehreltern- und trans-Familien

Autor/innen

  • Christine Wimbauer HU Berlin
  • Mona Motakef Technische Universität Dortmund
  • Julia Teschlade HU Berlin

Schlagworte:

Familie, Familieninterview, Heteronormativität, soziale Ungleichheit, LGBTQ*-Familie, Gleichstellung

Abstract

Gleichstellungspolitiken mit Blick auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sind in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in Bewegung geraten. Spätestens seit der Öffnung der „Ehe für alle“ 2017 scheint sexualpolitisch Gleichstellung erreicht. Wir erhellen hingegen empirisch das Argument, dass die rechtliche Gleichstellung von LGBTIQ*-Familien in Deutschland hinter dem Wandel der Lebenswirklichkeit zurückbleibt. Durch diesen institutional lag werden Familien jenseits der Paar- und Cisnorm weiter von familienpolitischen Rechten ausgeschlossen. Es zeichnet sich ein (bedingter) Einschluss von gleichgeschlechtlichen Paaren ab, während Familien- und Lebensformen, die von der Paar- und Cisnorm abweichen, weiterhin von familienpolitischen Rechten ausgeschlossen werden. Grundlage ist eine Interview-Studie mit insgesamt 13 Familien, die wir im Rahmen des DFG-Projekts „Ambivalente Anerkennungsordnung. Doing reproduction und doing family jenseits der heterosexuellen Normalfamilie“ (MO 3194/2-1, PE 2612/2-1, WI 2142/7-1) an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Hamburg vom 1.1.2018 bis 31.7.2021 durchgeführt haben.

Wir arbeiten anhand dreier exemplarischer Familienkonstellationen – zwei-Mütter-Familien, Mehreltern- und trans-Familien – heraus, wie Ungleichheiten in rechtlichen Regelungen fortbestehen und sich in die Familienpraxen von LGBTIQ*-Familien einschreiben. Deutlich wird, wie erstens Mütter-Paare die Notwendigkeit einer Stiefkindadoption trotz Ehe als Hürde und Herabsetzung der Elternschaft der nicht-leiblichen Mutter erfahren, wie zweitens in Mehreltern-Familien den sozialen Eltern nahezu jegliche Rechte fehlen und dies zu weitreichenden Unsicherheiten und nachteiligen Lebensbedingungen führt. Drittens zeigen wir, wie das Transsexuellengesetz (TSG) trans-Familien vermittelt, dass ihre Elternschaft explizit nicht vorgesehen ist und von ihnen als unerwünscht erfahren wird. Wir plädieren abschließend für ein „Queering“ der Ungleichheitsforschung und für eine stärkere Berücksichtigung von Hetero-, Cis- und Paarnormativität – denn nicht nur Geschlecht, sondern auch sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sind zentrale Determinanten sozialer Ungleichheit.

Literaturhinweise

Teschlade, Julia, Mona Motakef, Christine Wimbauer, und Lena Mobers. 2023. Rechtlicher Wandel im Schneckentempo: LGBTQ*-Familien zwischen Gleichstellung und Heteronormativität. Leviathan 51:85–111. Open Access, https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0340-0425-2023-1-85/rechtlicher-wandel-im-schneckentempo-lgbtq-familien-zwischen-gleichstellung-und-heteronormativitaet-jahrgang-51-2023-heft-1?page=1

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Polarisierte Lebenswelten? Vielfältige Familien und Lebensführungen jenseits der Hetero- und Paarnorm