Abwicklung und Arbeitskampf

Erinnerungen an Ohnmacht und kollektive Selbstwirksamkeit in der Nachwendezeit

Autor/innen

  • Mathias Berek Technische Universität Berlin

Schlagworte:

Politischer Protest, Arbeitskämpfe, Selbstwirksamkeit, Wende, Abwicklung, Erinnerungskultur

Abstract

Eingebettet in einen Turn der Vielstimmigkeit von Wende- und Nachwende-Erzählungen liefert dieser Beitrag einen Arbeitsbericht aus einem Projekt zu Erinnerungen an die 1990er Jahre und die Elemente von Zusammenhalt, Solidarität und Ressentiment in ihnen – und in welchem Zusammenhang sie mit Vorstellungen gesellschaftlicher Organisation sowie Einstellungen zu politischen Prozessen und Personen stehen. Im Blick des Beitrag stehen die Arbeitskämpfe jener Zeit am Beispiel des geschlossenen Kaliwerks Bischofferode. Die Untersuchung geht von Hartmut Rosas Interpretation von Selbstwirksamkeitserfahrungen aus und davon, dass sie selbst dann vorliegen können, wenn die geführten Kämpfe erfolglos bleiben.

Es kommt also darauf an, sich zusammenzuschließen und zu handeln, selbst wenn die Kämpfe erfolglos bleiben sollten. So ist es auch bei den ambivalenten Erinnerungen unserer Interviewpartner aus dem thüringischen Bischofferode, die zwar offen eingestehen, den Kampf um ihren Arbeitsplatz und die Existenz ihres Betriebs verloren zu haben, aber sich dennoch den Stolz erhalten haben, gekämpft zu haben und die Erinnerungen an diesen Kampf letztlich sogar in Form eines Museums institutionalisiert zu haben.

Der Begriff des Zusammenhalts fällt bei den Kumpels letzlich nicht in Bezug auf die Gesellschaft, sondern stets in Bezug auf die ehemalige Brigade zu DDR-Zeiten, auf die Kumpels unter Tage – und auf die Proteste. Zusammenhalt scheint also, zumindest für unseren Untersuchungsgegenstand, ein höchst partikularer Begriff in der Selbstverwendung zu sein, der sich nie auf größere Aggregate, geschweige denn die Gesamtgesellschaft, bezieht.

Auch bleibt eine Signatur der Wende- und Nachwendezeit die Gleichzeitigkeit von Selbstwirksamkeit und Ohnmacht. Bei der Erinnerung im Kali-Bergbau-Museum stellt die Frage nach dem »Echo der Kämpfe« eine lebendige Verbindung zu aktuellen politischen Einstellungen, Reflexionen und Handlungen her. Die Erinnerung an kollektive Selbstwirksamkeit in der Vergangenheit prägt somit die Selbstwirksamkeitserwartungen in der Gegenwart, wenn auch auf eine keineswegs eindeutige Art.

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Fragmentierte Erinnerungen – fragmentierte Gesellschaften? Polarisierte Gedächtnisse der postsozialistischen Transformation in Ostdeutschland und Ostmitteleuropa