Rurale Selbstversorgung in der Mecklenburgischen Seenplatte

Zwischen Krise und Aufbruch

Autor/innen

  • Christian Brechler Hochschule Neubrandenburg
  • Judith Althaus Universität Jena
  • Theodor Fock Hochschule Neubrandenburg

Schlagworte:

Subsistenzwirtschaft, Selbstversorger, Verlustpraxis, Homesteading, Ländliche Räume, Kleinproduzenten, Covid-19-Pandemie

Abstract

In den ostdeutschen Bundesländern sind bis heute die Strukturen der Sozial- und Ernährungspolitik der ehemaligen DDR deutlich erkennbar. Dies betrifft neben dem eigentlichen Agrarsektor über Bodenreform, Kollektivierung und Industrialisierung auch die Privathaushalte.  

Zur Sicherung der Lebensmittelversorgung gab es in der Ernährungspolitik der DDR einen stark subventionierten Lebensmittelankauf. In diese Kategorie fielen Hausgärten, Kleingärten und Flächen, die im Rahmen der LPG-Mitgliedschaft zur Verfügung gestellt wurden. Die hohen Ankaufpreise waren für viele Haushalte ein lukrativer Nebenverdienst, entsprechend umfangreich wurden Gartenbau und Tierhaltung betrieben.

Der vorliegende Beitrag soll sich mit den Motiven der Kleinproduzent:innen im dörflichen Umfeld beschäftigen. Die Subsistenzwirtschaft soll in dem Kontext der „neuen” und „alten” Mittelklassen nach Reckwitz betrachtet werden. Lassen sich die Kleinproduzent:innen mit diesem Klassenkonzept abbilden? Inwiefern können Konzept, Umfang und Motivation der ruralen Selbstversorgung als Ausdruck der Gesellschaft der Singularitäten verstanden werden? Hintergrund ist der stetige und seit der Pandemie zunehmende Zuzug in den ländlichen Raum. Gerade Personen aus der neuen Mittelklasse sind in der Lage die neue Flexibilität durch Homeoffice und Digitalisierungsschub zu nutzen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu „traditionellen“ Kleinerzeugern sollen betrachtet werden. Aus den bisherigen Befragungen wird deutlich, dass „Armut“ keinesfalls ein Treiber der Selbstversorgungswirtschaft ist.   

Schließlich wird auch geklärt, inwiefern die betrachteten Gruppen ihre Tätigkeit in Angesicht von Krisen, wie der Covid-19-Pandemie und zuletzt dem Ukraine-Krieg, anpassen bzw. überdenken. Kann die rurale Selbstversorgung als Reaktion auf eine „Katastrophenstimmung” und damit als „Verlustprävention” verstanden werden? 

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Sektion Land-, Agrar- und Ernährungssoziologie: Polarisierte sozial-ökologische Denkweisen: Corona als Brennglas für konkurrierende Deutungen in alternativer Landwirtschaft und Ländlichkeit