Wo Differenzierung ist, wächst das Verbindende auch?
Polarisierung und Integration der Weltgesellschaft
Schlagworte:
Weltgesellschaft, Polarisierung, DifferenzierungstheorieAbstract
Prozesse gesellschaftlicher Polarisierung sind nicht nur auf nationaler, sondern auch auf globaler Ebene zu beobachten. Das prominenteste Beispiel einer bipolaren globalen Ordnung stellte lange Zeit der Ost-West-Konflikt dar. Seit seinem Ende werden immer wieder neue Formen globaler Polarisierung und Spaltung diskutiert: vom „Clash of Civilizations“ bis zur „multipolaren Ordnung“. Ähnlich wie Diagnosen gesellschaftlicher Spaltung im Rahmen einzelner Nationalstaaten neigt die Beobachtung globaler Polarisierung jedoch dazu, einzelne Konfliktdimensionen zu fixieren und gegenläufige Tendenzen, die sich aus der Struktur pluralistischer und differenzierter Sozialbeziehungen ergeben, zu unterschätzen. Einer nachhaltigen Polarisierung steht die Strukturprämisse funktionaler Differenzierung entgegen, dass Personen mehrfach und in wechselnde Beziehungskonstellationen inkludiert sind. Aufgrund dieser Mehrfachinklusion gingen bereits Durkheim und Simmel davon aus, dass Differenzierung solidarische Verbindungen zwischen Individuen und Gruppen fördert. Mit Blick auf ideologische Polarisierung beschrieb Parsons den „Pluralismus“ moderner Gesellschaften als eine soziale Infrastruktur, deren „cross-cutting ties“ zur Konfliktdämpfung beitragen. Der Beitrag verfolgt das Ziel, die These der verbindenden und konfliktdämpfenden Folgen funktional differenzierter Beziehungen im Kontext der Weltgesellschaftstheorie zu rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund soll geklärt werden, welche Bedeutung historische und zeitgenössische Formen globaler Polarisierung und deren Thematisierung für die Integration der Weltgesellschaft hatten und haben.
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