Zeitstrukturen (neu)rechter Zukunftsvorstellungen

Autor/innen

  • Maximilian Weckemann Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Schlagworte:

Imaginierte Zukünfte, Zeit, Neue Rechte

Abstract

Der Beitrag nimmt eine zeitsoziologische Perspektive auf rechte Zukunftsvorstellungen ein und untersucht, ob die Polarisierung sozialer Zeit – also die scharfe Kontrastierung verschiedener Zukunftsszenarien – oder deren Gegenteil – die vermeintliche Vorherbestimmtheit einer einzelnen Zukunftserzählung – mit bestimmten politischen Handlungen einhergeht. Als Untersuchungsgegenstand bieten sich hierbei die Erzählungen vom „Großen Austausch“ und „Great Reset“ an, da es sich bei beiden um weit verbreitete Deutungsmuster der Rechten in verschiedenen westlichen Ländern handelt. Die Vorstellung des „Großen Austausches“ tauchte hierbei in der Vergangenheit in rechtsterroristischen Manifesten in einer Variation auf, die ein apokalyptisches Bürgerkriegsszenario für notwendig hielten. Es kam also weder zu einer Kontrastierung der Gegenwart mit der Zukunft, noch zu einer Polarisierung verschiedener Zukunftsszenarien. Vielmehr wurde ein bestimmtes Szenario aus der Gegenwart abgeleitet und als unausweichlich vorausgesetzt. Da dieses Szenario darüber hinaus von einem hohen Maß an zukünftiger Gewalt ausgeht, eignet es sich als Rechtfertigung für Gewalt in der Gegenwart. Bei der Erzählung des „Great Reset“ findet sich wiederum eine ähnliche Gewissheit ihrer Anhänger bezüglich der diktatorischen Absichten der herrschenden Eliten. Allerdings präsentiert sich die Zukunft hier als ein „Entweder-oder“: Während die Abschaffung der Demokratie kurz bevorsteht oder bereits in vollem Gange ist, kann sie mittels einer revolutionären Protestbewegung durchaus verhindert werden. Es findet somit eine Polarisierung zwischen zwei möglichen Zukünften statt, deren jeweiliges Eintreten von der Stärke des „Widerstands“ der Bevölkerung abhängt.

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Polarisierungssemantiken und rechte Krisennarrative