Die Wissenschaften als Laboratorium der Soziologie Zur Rolle der Science Studies bei der Reformulierung von Sozial- und Gesellschaftstheorie bei Bruno Latour
Schlagworte:
Bruno Latour, Soziologische Theorie, Science StudiesAbstract
Das Verhältnis von soziologischer Theorie und Wissenschaftsforschung erscheint im Rahmen der gängigen Sortierungslogiken der Soziologie zunächst als eines zwischen allgemeiner und spezieller Soziologie. Diskussionen um den Beitrag der Science Studies in der oder für die Soziologie beziehen sich demzufolge auf das generelle Problem, wie die Erforschung eines Teilbereichs für die Erkenntnis von Gesellschaft insgesamt fruchtbar gemacht werden kann. Unterlegt sind dieser Beschreibung in der Regel differenzierungstheoretische Annahmen, mit denen schließlich davor gewarnt werden kann, einen Teilbereich von Gesellschaft absolut zu setzen (vgl. ex. Luhmann 1987: 554, 2009: 98ff.). Mit Rücksicht auf dieses Problem ist es daher sinnvoll, die Fragerichtung ein Stück weit zu verschieben und zunächst nach Einfluss- und Überschneidungspunkten oder Wirkungen der Wissenschaftsforschung auf die soziologische Theorie im Allgemeinen zu fragen. Hiervon ausgehend geht es mir im Folgenden darum, die Frage des Verhältnisses von Wissenschaftsforschung und soziologischer Theorie, die im Zentrum dieser Ad-hoc-Gruppe steht, am Fall zu diskutieren, nämlich an Bruno Latour. Von allen Protagonisten der Science Studies eignet er sich hierfür am besten, weil er die weitreichendsten Konsequenzen aus der Beschäftigung mit den Wissenschaften gezogen hat. In einem ersten Schritt werde ich kurz auf die Entwicklung der Wissenschaftssoziologie seit den 1960er Jahren zu sprechen kommen, um Latours Position hierin situieren und von anderen Positionen abgrenzen zu können. Dadurch wird es möglich sein zentrales Argument zu skizzieren: nämlich dass die soziologische Forschung im Labor selbst zum Problem wird und gezwungen ist, ihre sozialtheoretischen Prämissen zu überdenken. Um den Beitrag Latours im Detail diskutieren zu können und mehrfach formulierten Einwänden zu begegnen, beziehe ich seine Arbeiten anschließend auf die in der soziologischen Theorie verbreitete Unterscheidung von Sozial- und Gesellschaftstheorie. Da die Annahme des Scheiterns der Soziologie im Labor, die sich als Startpunkt seines gesamten Werkes begreifen lässt, auch noch das neue und umfangreiche Projekt der Erforschung von Existenzweisen motiviert, schließe ich mit einer kurzen Schilderung der dortigen Begründung einer Sonderstellung der Wissenschaften in der Moderne, bevor diese Diskussion abschließend mit der Ausgangsfrage zusammengeführt wird. Dabei geht es auch darum, auf eine Kritik an Latour zu antworten, die genau an diesem Fall der Beziehung zwischen Wissenschaftsforschung und soziologischer Theorie ansetzt und behauptet, dass Latour (letztlich in all seinen Arbeiten nach seiner frühen Laborstudie (Latour/Woolgar 1986) aus den 1970er Jahren) zentrale Kategorienfehler begeht, die auf der Ebene der Theorie in Unterkomplexität und auf der Ebene der Politik in eine fatale Expertokratie münden (vgl. Lindemann 2008, 2009a, 2011b). Beide Behauptungen gehen gleichermaßen an Latours Werk vorbei, sind aber nur hinreichend zu adressieren, wenn man die zentralen Argumente in der Beziehung zwischen Wissenschaftsforschung und soziologischer Theorie rekonstruiert.
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