Kein Tod ohne Leben. Zu Krisen des Trauerns nach Fehl- und Totgeburt

Autor/innen

  • Julia Böcker Leuphana Universität Lüneburg

Schlagworte:

Fehlgeburt, Totgeburt, Tod, Trauernormen, Lebensgrenze, Ungeborene

Abstract

Im Beitrag wird nach den Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten, auf die von einer Fehl- oder Totgeburt Betroffene zurückgreifen, sowie nach den Bedingungen für Krisen gefragt. Anhand empirischen Datenmaterials aus einem Online-Trauerforum wird die These entfaltet, dass eine Krise durch den uneindeutigen Status des verstorbenen Ungeborenen bedingt sein kann. Die fehlende soziale Anerkennung des Ereignisses als ein Todesfall und somit als Verlust eines signifikanten Anderen führt im dargestellten Material zur (Selbst-)Delegitimierung der Trauernden. Die internalisierte Trauerintensitätsnorm, man habe um Ungeborene weniger zu trauern, steht im Widerspruch zu individuellen Gefühlen. Die Ergebnisse zeigen, dass im Todesfall am Lebensbeginn mitunter eine Orientierung an traditionellen Bestattungsformen und Abschiedsritualen besteht, die für Fehl- und Totgeburten nicht etabliert sind.

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Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Ad-hoc: Sterben und Tod als (ent-)routinisierte Krisen?