Was ist eine Assoziation?

Autor/innen

  • Joost van Loon Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
  • Laura Unsöld GESIS, Köln Universität Duisburg-Essen

Schlagworte:

Assoziation, Beziehung, Latour, Netzwerk, White

Abstract

Relationale Soziologie und empirische Netzwerkanalyse haben starke gemeinsame Interessen daran, das Soziale mittels einer Doppelgestaltung  von Verflechtungsstrukturen und Handlungsströmen zu betrachten. Diese Verdopplung ist aber nicht ohne Probleme, da dafür sowohl strukturorientierte als auch prozessorientierte Ansätze nötig sind, die aber schwierig miteinander vereinbar sind.

In an Inquiry into Modes of Existence hat Bruno Latour (2013) wieder einmal betont, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Betrachtung eines Netzwerks als Ergebnis und als Werkzeug. Nur wenn man ein Netzwerk als Werkzeug betrachtet, wird man in der Lage sein, eine Prozessorientierte Analyse des Sozialen zu gestalten.  Dieser Unterschied verweist zurück auf viele frühere Dualitäten, die durch Latour aufgeführt worden sind, um die „Soziologie der Übersetzung , die „Soziologie der Assoziationen“ , die „empirische Philosophie“ oder die „Akteur Netzwerk Theorie“ polemisch von allen anderen Arten (konstruktivistischen) Netzwerkanalysen zu trennen. 

In einem Aktuellen Ansatz (van Loon und Unsöld, 2014) haben wir versucht zu zeigen, dass diese polemische Differenzierung dazu führen könnte, dass sich Akteur Netzwerk Theorie mit Analysen von sogenannten „Big Data“ gar nicht beschäftigen  kann, weil sie nicht mehr in der Lage ist, „Ergebnisse“ als Prozesse zu betrachten. Ein Phänomen, wobei Handlung und Information empirisch nicht mehr trennbar sind, weil diese beiden durch optische Medien (Kittler, 2010) affektiv gleichgeschaltet werden, ist sowohl Gegenstand als auch Werkzeug (Rogers, 2013). Dabei kommt auch noch, dass es laut Graham Harman (2010) fragwürdig ist, ob es Objekte/Gegenstände gibt, die keine Werkzeuge im Sinne von Heideggers „Zuhandensein“ sind.

Die Frage, ob man zwischen Latour und White mehr oder weniger Verbindungen konzipieren kann, hängt unserer Meinung nach vor allem damit zusammen, wie man Beziehung oder  Assoziation versteht.  Es ist sowieso für die Glaubwürdigkeit der relationalen Soziologie notwendig, dass sie sich vor allem empirisch mit dem Phänomen des Beziehens beschäftigt. Die Linie in einer graphischen Darstellung eines Netzwerks verhüllt vielleicht zu viel.

Mit diesem Beitrag werden wir versuchen, uns empirisch-theoretisch auf Basis einer vergleichenden Analyse von White und Latour mit dem Phänomen der Beziehung oder Assoziation zu beschäftigen. Während für White (2008) eine Beziehung, die aus bestimmten Handlungen entsteht, sic h aber danach  als Strukturform  verselbstständigt, bleibt bei Latour (2005) eine Assoziation immer performativ und deswegen abhängig von Wiederholung. Weil aber ANT auch behauptet hat, dass Technologie das Soziale dauerhaft macht und für Latour eine Assoziation durch nicht soziale Entitäten verstärkt werden kann, gibt es vielleicht trotzdem Möglichkeiten nachzufragen, wie man laut ANT Beziehungen als dauerhafte Assoziationen konzipieren könnte. Dabei spielt für uns die empirisch-philosophische Verwurzlung der ANT in die Werke von Deleuze & Guattari, Whitehead, Tarde und sogar Spinoza eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Auf Basis davon möchten wir – vielleicht stärker als Latour bisher erlaubt hat – betonen, dass die Medialität der Assoziationen unbedingt miteinbezogen werden soll.  

Mit Whitehead (1978) verstehen wir Assoziation als Erfassung und diese Erfassung impliziert immer (mindestens) zwei Entitäten. Sie soll aber nicht als etwas „dazwischen“ verstanden werden, sondern als etwas, das beide Entitäten (unterschiedlich) ergänzt und deswegen ändert. Mit Tarde (2009) können wir Dauer immer noch performativ als Wiederholung verstehen und damit behalten wir eine Handlungsorientierung. Mit Deleuze und Guattari (1988) verstehen wir Netzwerke als Assemblages: als  Entfaltungen von unterschiedlichen affektiven Strömen, die einander erfassen. Diese Strömungen sind – im Sinne von Latour – als material-semiotische Prozesse zu verstehen, wobei der Ansatz von Deleuze und Guattari  (1988) - dass Strom (flow) sowohl Materie als auch Energie als Information ist - einer monistischen empirischen Philosophie entspricht.

Mit dieser philosophischen Vorarbeit werden wir uns mit den Ansätzen von White beschäftigen und analysieren, was passieren würde, wenn wir seinen Netzwerkbegriff de-konstruieren.  Was könnte (zum Beispiel) Identität bedeuten, wenn  wir nicht mehr von einer Dualität von Gegenstand und Darstellung ausgehen können? Was ist die Rolle der Materialität einer Beziehung? Braucht White unbedingt Durkheims (1961) erste Regel der soziologischen Methode, i.e. soziologische Tatbestände als Dinge zu betrachten?

Zum Schluss orientieren wir uns auf die Praxis der Netzwerkforschung (e.g. Scott, 2013) und im Besonderen, wie dabei das Phänomen des Einflusses als eine quantitative Variable konzipiert wird. Wir werden betonen, dass die Quantifizierung, die in Netzwerkanalysen auf Basis von Big Data ermöglicht wird, uns in die Lage bringen könnte, neue Verbindungen zwischen Strukturorientierten und Prozessorientierten Arten der Netzwerkanalyse  zu gestalten, ohne dass dabei ein Spagat zwischen grundsätzlich unvereinbarten theoretischen Perspektiven entsteht. Diese Gestaltung sollte auch für eher ethnografisch-orientierte Ansätze bedeutungsvoll sein, aber nur wenn diese Ethnografie  weniger von bestimmten dualistischen philosophischen Voraussetzungen (im Besonderen aus der Phänomenologie)  abhängig  gemacht wird.

Autor/innen-Biografien

Joost van Loon, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Professor für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie

Laura Unsöld, GESIS, Köln Universität Duisburg-Essen

Wissenschaftliche Mitarbeiter, GESIS

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Veröffentlicht

2015-12-15

Ausgabe

Rubrik

Ad-hoc: Die relationale Soziologie zwischen Latour und White – Verbindungslinien und Abgrenzungszonen