Die Verteilung von Care und Karriere bei Vätern: Reproduktionsarbeit als Ungleichheitsdimension zwischen Männern?

Autor/innen

  • Annette von Alemann Universität zu Köln Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung
  • Sandra Beaufaÿs Center of Excellence Women and Science (CEWS) GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Abteilung Dauerbeobachtung der Gesellschaft (DBG)

Schlagworte:

Geschlecht, Organisation, Väter, Mütter, soziale Ungleichheit, Intersektionalität, Care, Reproduktion, Karriere, Führungspositionen, Selbstausschließung, Familie, Vereinbarkeit, Boundary Making, soziale Ausschließung, Familienfreundlichkeit,

Abstract

Die Verknüpfung der Ungleichheitsdimensionen Geschlecht und Care-Verpflichtungen bedeutet für Frauen in Organisationen eine doppelte Benachteiligung. In dem Maße, wie es auch von Vätern als erstrebenswert angesehen wird, Lebensziele im Bereich von Karriere und Familie verwirklichen zu können, beginnen auch Care-Verpflichtungen als Ungleichheitsdimension für Männer Wirkung zu zeigen.

Der Beitrag analysiert, wie Care-Verpflichtungen zu potentiellen Karrierehindernissen und zu einer Benachteiligungsdimension für Väter werden (können), welche Mechanismen der Fremd- und Selbstselektion hier wirksam werden, welche Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata innerhalb und außerhalb von Organisationen dem zugrunde liegen und wie diese Prozesse mit Geschlechterungleichheiten und ‑konstruktionen im sozialen Raum verknüpft sind. Er stützt sich auf Daten und Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Arbeitsorganisationen und väterliche Lebensführung“ (SFB 882). Die Ergebnisse zeigen, wie Väter mit (impliziten) Verfügbarkeitserwartungen ihrer Arbeitsorganisation konfrontiert sind, die sie – ähnlich wie Mütter – antizipieren. Die regelmäßige und sichtbare Benachteiligung von Frauen mit Care-Verpflichtungen im Unternehmensalltag wird von ihnen als mögliche Konsequenz einer eigenen aktiven Familienorientierung wahrgenommen. Väter können (noch) nicht auf etablierte Wege der Verknüpfung von Karriere und Familie zurückgreifen und sind daher unsicher im Hinblick auf die Folgen ihrer Entscheidung – zumal sie auf Grund ihres stärker ausgeprägten Selbstbilds als Familienernährer für drohende Karrierenachteile verwundbarer sind. Die Bandbreite der väterlichen Reaktionen auf wahr genommene Verfügbarkeitswartungen reicht von der Zurücknahme ihrer Karriereorientierung zugunsten ihrer Care-Orientierung bis hin zur „Delegation“ der familiären Sorge an die Partnerin, um sich für eine Karriere „freistellen“ zu lassen. Die „Sphäre“ Familie kontaminiert somit auch „männliche“ Karrieren: Familienorientierung als aktive Beteiligung an Care schließt auch Väter potentiell aus der Sphäre hegemonialer Männlichkeit (Connell) aus. Dabei entstehen graduelle Differenzen zwischen den Vätern entlang der Dimension Care. Die Wirkungen dieser selektiven Prozesse verstärken sich mit steigender Hierarchiestufe.

Obgleich sie nicht zwingend an ein Geschlecht gebunden sind, tragen symbolische Grenzziehungen entlang der Care-Dimension zu einer Vertiefung von Geschlechterungleichheit in Organisationen bei, da sie die Zuschreibung von Familien- und Karriereorientierung entlang traditioneller Arbeitsteilung in den karriererelevanten (und daher sichtbaren) Positionen fortführen. Familienfreundliche Personalpolitik agiert keineswegs geschlechtsneutral, sondern sie kann alte Ungleichheiten zwischen Vätern und Müttern reproduzieren, solange sie nicht in gleicher Weise auch Väter adressiert. Gleichzeitig bringt sie neue Ungleichheiten zwischen Vätern mit Care-Orientierung und Vätern mit Karriereorientierung hervor.

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Veröffentlicht

2016-04-24

Ausgabe

Rubrik

Sektion Frauen- und Geschlechterforschung: Krise der Reproduktion – Reproduktion in der Krise