Formen der Abschwächung moralischer Empörung. Eine Analyse politischer Reaktionen auf zivilgesellschaftliche Proteste gegen Gesetzesverschärfungen und Abschiebungen

Autor/innen

  • Albert Scherr Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Soziologie

Schlagworte:

Migration, Flucht, forced migration, Abschiebungen, soziale Bewegungen

Abstract

Gegen eine Rechtsprechung, die auf einer vermeintlich klaren Unterscheidung legitimer und illegitimer Fluchtgründe basiert, sowie eine staatliche Flüchtlingspolitik, die auf die konsequente Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für Geflüchtete zielt, denen rechtlich anerkennungswürdige Fluchtgründe bestritten werden, haben sich nicht nur Widerstände der Betroffenen, sondern auch zivilgesellschaftliche Proteste und eine kritische Medienberichterstattung entwickelt. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, dass diese durch staatliche Politik als Legitimationsproblematik beobachtet werden und darauf bezogen eine wirkungsmächtige Gegenstrategie entwickelt wurde, die auf Legitimationsbeschaffung und Optimierung der Durchsetzbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen zielt. Diese Strategie bewertet kritische Berichterstattung und Proteste als unerwünschte Störung und zielt darauf, Kritik und Proteste durch rechtliche und administrative Maßnahmen sowie die Beeinflussung der medialen Berichterstattung zu erschweren.

Autor/innen-Biografie

Albert Scherr, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Soziologie

Professor für Allgemeine Soziologie. Direktor des Instituts für Soziologie, Mitglied im DFG-Netzwerk 'Grundlagen der Flüchtlingsforschung'

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Veröffentlicht

2017-07-19

Ausgabe

Rubrik

Sektion Soziale Probleme und soziale Kontrolle: Die ›Flüchtlingskrise‹