Totale Vergemeinschaftung – die Konstruktion von Problemgruppen in Haft

Autor/innen

  • Dörte Negnal Humboldt-Universität zu Berlin

Schlagworte:

Problemgruppe, Interaktionen, Institution, Gefängnis, russischsprachige Inhaftierte

Abstract

Die Konstruktion von Problemgruppen ist eine interaktive Vergemeinschaftung, an der im Gefängnis Personal und Inhaftierte mitwirken. Russischsprachige Inhaftierte gelten als solch eine Problemgruppe, die durch Geschlosssenheit, Verweigerung und Brutalität als Bedrohung wahrgenommen wird. Die Zuschreibungen als gefährliche, weil unberechenbare 'Verweigerer' sind jedoch nicht allein erlittene Stigmatisierungen, die vom Anstaltspersonal ausgehen, sondern werden von den als Problematisch definierten gleichsam mit hervorgebracht. Im Zuge dreier Prozesse - Referenzierung, Dramatisierung und Mystifizierung - verknüpfen sich im alltäglichen Miteinander institutionelle Konstruktionen mit situierten Selbstbeschreibungen. Erst indem bestimmte Begriffe fallen gelassen werden, einige Aspekte permanent betont werden, während andere nicht zulässig erscheinen und sich vermeintliche Fronten auftun, weil an sozialer Distanz gearbeitet wird, entfalten Problematisierungen kollektive Zugkräfte. Auf der Grundlage einer Ethnografie über russischsprachige Inhaftierte wird gezeigt, wie sich mit der Konstruktion einer Problemgruppe Geschlossenheit realisiert, wenn Gruppenkonstellationen dargestellt und (Selbst)Ausschließung vollzogen wird.

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Veröffentlicht

2017-09-08

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Geschlossene Institutionen – geschlossene Gemeinschaften