Von Aushandlungen und Feststellungen. Konventionentheoretische Analyseperspektiven auf Organisationen

Autor/innen

  • Nina Pohler

Schlagworte:

Konventionentheorie, Soziologie der Konventionen, Praxistheorie

Abstract

In der französischen Soziologie der Konventionen werden Organisationen als „compromise devices“ (Thévenot 2001) gesehen, als sozio-materielle Arrangements, deren Funktion es ist, unterschiedliche Formen der Koordination zu verbinden. Der Ansatz hat eine spezifische, aber genuin praxistheoretische Vorstellung von Organisationen: Diese werden als eine Form der Herstellung von Generalisierbarkeit gesehen, als Versuche, einen Kompromiss zwischen verschiedenen Praktiken mit unterschiedlichen„general understandings“ und „teleoaffective structures“ (Schatzki 2005) herzustellen. Organisationen sind damit „mehrdeutigkeitsbewältigende Strukturen“ (Knoll 2014), die es ermöglichen, die Unsicherheit, die durch die Gleichzeitigkeit von widersprüchlichen Rationalitäten entsteht, zu überwinden.

Die methodische Präferenz der Konventionentheorie ist die der Analyse von „kritischen Momenten“ (Boltanski und Thévenot 2007) in denen Konflikte ausgetragen und Einigungen ausgehandelt werden. Ich analysiere ein „virtuelles Kollektiv“ in einem kritischen Moment, in dem die Bedeutung, die Grenzen und der Charakter des Kollektivs in Frage gestellt werden. Hier wird deutlich, dass eine praxistheoretische Analyseperspektive hilft, die Aushandlungen und Feststellungen zu verstehen, auf denen Organisationen beruhen.

Während praxistheoretische Ansätze oft die Bedeutung von informellen Regeln, Routinen und impliziten Wissen betonen, nutze ich Werkzeuge der Theorie der Konventionen um zu verfolgen, wie die Kollektivmitglieder versuchen von einem relativ offenen Zusammenhang zu einem gemeinsamen und fixierbaren Verständnis, zur „Feststellung“ ihres Kollektivs zu kommen. Hier erweist sich das Konzept der Prüfung als nützlich. Es bezeichnet Praktiken, in denen Äquivalenzbeziehungen zwischen Menschen und Objekten hergestellt werden, um diese dann nach ihren jeweiligen Wertigkeiten (an)ordnen zu können und die Richtigkeit oder Gerechtigkeit einer (An)Ordnung zu überprüfen. Über diesen Zugang werden die konfligierenden Wertvorstellungen deutlich, die in Organisationen miteinander in Einklang gebracht werden müssen und die Kompromisse, die hierfür notwendig sind. Gleichzeitig wird auch klar, welche Bedeutung explizierbares und überprüfbares Wissen und damit verbunden, Investitionen in Messwerkzeuge und sozio-technische Systeme (Thévenot 1984), für die notwendigen Feststellungen haben.

Literaturhinweise

Boltanski, L. 2010: Soziologie und Sozialkritik. Berlin: Suhrkamp.
Boltanski, L., Thévenot, L. 2007: Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft. Hamburg: Hamburger Edition.
Dequech, D. 2005: Cognition and valuation: Some similarities and contrasts between institutional economics and the economics of conventions. Journal of Economic Issues, 39. Jg., Heft 2, 465–473.
Desrosières, A. 2011: The economics of convention and statistics: The paradox of origins. Historical Social Research/Historische Sozialforschung, 64–81.
Diaz-Bone, R., Thévenot, L. 2010: Die Soziologie der Konventionen. Die Theorie der Konventionen als ein zentraler Bestandteil der neuen französischen Sozialwissenschaften. Trivium, 5. Jg., Heft 1.
Eymard-Duvernay, F., Favereau, O., Orléan, A., Salais, R., Thévenot, L. : 2010: Werte, Koordination und Rationalität: Die Verbindung dreier Themen durch die »Économie des conventions«. Trivium. Revue franco-allemande de sciences humaines et sociales – Deutsch-französische Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften, Heft 5.
Favereau, O., Lazega, E. (Hg.) 2002: Conventions and structures in economic organization. Markets, Networks and Hierarchy. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing.
Jagd, S., 2011: Pragmatic sociology and competing orders of worth in organizations. European Journal of Social Theory, 14. Jg., Heft 3, 343–359.
Knoll, L. (Hg). 2015: Organisationen und Konventionen: Die Soziologie der Konventionen in der Organisationsforschung. Heidelberg: Springer VS.
Schatzki, T. R. 2001: Introduction: Practice theory. In T. R. Schatzki, K. Knorr-Cetina, E. Von Savigny: The practice turn in contemporary theory. New York: Routledge, 1–15.
Thévenot, L. 1984: Rules and implements: Investment in forms. Social Science Information, 23. Jg., Heft 1, 1–45.
Thévenot, L. 2001: Organized complexity conventions of coordination and the composition of economic arrangements. European Journal of Social Theory, 4. Jg., Heft 4, 405–425.

Downloads

Veröffentlicht

2017-09-19

Ausgabe

Rubrik

Sektion Organisationssoziologie: Praxistheorie in der Organisationssoziologie – neue Perspektive oder neuer Pappkamerad?