Soziale Institutionen als Problem und als Problemlösung – Thesen zur Veränderung von Altersgrenzen

Autor/innen

  • Harald Künemund Universität Vechta
  • Julia Hahmann Universität Vechta

Abstract

Im Prinzip lernt heute schon jedes Kind in der Grundschule, dass in Deutschland die Zahl der Jüngeren zurückgeht, jene der Älteren aber ansteigt, sodass künftig immer mehr Ältere von immer weniger Personen im erwerbsfähigen Alter versorgt werden müssen und daher z.B. das umlagefinanzierte Rentenversicherungssystem ohne Anhebung der Rentenzu­gangsalter nicht mehr funktionieren kann. Der Beitrag hinterfragt diese ›Selbstverständ­lichkeit‹ und definiert zu diesem Zweck zunächst ›Alter‹ und ›Altersgrenze‹. Anschließend wird die Berechnung von Alterslastkoeffizienten problematisiert, die in Wissenschaft und Politik zwar weit verbreitet sind, in mehrfacher Hinsicht aber ein Beispiel für eine ausgesprochen einseitige und irreführende Problematisierung der demographischen Entwicklung darstellen (vgl. Künemund 2015 sowie als Kurzfassung Künemund/Hahmann 2014). Der Beitrag wird dann in einem dritten Schritt Probleme und Alternativen der Berechnung benennen und anschließend am Beispiel der Altersgrenzen des Erwerbsle­bens die Funktionen und Probleme von Altersgrenzen in einem allgemeinen Sinne erörtern. In starkem Kontrast etwa zur Expertise ›Diskriminierung aufgrund des Alters‹ für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Rothermund/Temming 2010) wird argumen­tiert, dass Altersgrenzen erstens gar nicht zwangsläufig zwischen Personen diskriminie­ren, wie dies etwa bei ›Geschlecht, Rasse und sozialer Herkunft‹ (ebd. 11) der Fall ist, sondern vielmehr potentiell alle Individuen gleich behandeln, und zweitens die Anhebung wie auch die Abschaffung bzw. Flexibilisierung von Altersgrenzen neue Probleme und Ungleichheiten schaffen bzw. bestehende Ungleichheiten verschärfen würde.

Literaturhinweise

Butler, R. N. 1975: Why survive? Being old in America. New York: Harper & Row.
Fachinger, U., Künemund, H. 2014: Stabilität des Versorgungsniveaus nach dem Paradigmenwechsel. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 83. Jg., Heft 2, 33–47.
Igl, G. 2013: Diskriminierung im höheren Lebensalter: Bietet das Recht hinreichenden Schutz? In G. Bäcker, R. G. Heinze (Hg.), Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung. Wiesbaden: Springer VS, 167–184.
Knapp, G.-A. 2012: Im Widerstreit. Feministische Theorie in Bewegung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kohli, M. 1983: Thesen zur Geschichte des Lebenslaufs als sozialer Institution. In C. Conrad, H.-J. von Kondratowitz (Hg.), Gerontologie und Sozialgeschichte. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen, 133–147.
Kohli, M. 1985: Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 37. Jg., Heft 1, 1–29.
Konietzka, D., Kreyenfeld, M. 2008: Wandel der Geburten- und Familienentwicklung in West- und Ostdeutschland. In N. F. Schneider (Hg.), Lehrbuch Moderne Familiensoziologie. Opladen: Verlag Barbara Budrich, 121–137.
Künemund, H. 2013: Demografie, Politik und Generationenbeziehungen. In M. Hüther, G. Naegele (Hg.), Demografiepolitik. Wiesbaden: Springer VS, 164–176.
Künemund, H. 2015: "Alterslast" und Altersgrenzen. In G. Igl, F. Welti, M. Eßer (Hg.), Alter und Beschäftigungen. Arbeitssituationen, Lebensentwürfe und soziale Sicherung der über 50-Jährigen. Münster: Lit Verlag, 33–44.
Künemund, H., Hahmann J. 2014: Ageing, intergenerational relations, and the welfare state. In G. B. Hodelin, M. M. Hayes-Frawley, S. Washi (eds.), Family socioeconomic and cultural issues. A continuing home economics concern. Bonn: International Federation of Home Economics, 19–23.
Künemund, H., Rein, M. 1999: There is more to receiving than needing: Theoretical arguments and empirical explorations of crowding in and crowding out. Ageing and Society, Vol. 19, Issue 1, 93–121.
Künemund, H., Vogel, C. 2006: Öffentliche und private Transfers und Unterstützungsleistungen im Alter – "crowding out“ oder "crowding in“? Zeitschrift für Familienforschung, 18. Jg., Heft 3/2006, 269–289.
Rothermund, K., Temming, F. 2010: Diskriminierung aufgrund des Alters. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Vogel, C., Künemund, H. 2014: Armut im Alter. In S. Frech, O. Groh-Samberg (Hg.), Armut in Wohlstandsgesellschaften. Schwalbach am Taunus: Wochenschau Verlag, 123–136.

Downloads

Veröffentlicht

2017-09-19

Ausgabe

Rubrik

Sektion Alter(n) und Gesellschaft: Altersgrenzen und soziale Schließung