Der widerspenstigen Zähmung: Konsequenzen eines professionalisierten Expertentums

Autor/innen

  • Michaela Pfadenhauer Universität Wien

Schlagworte:

Expertentum, Professionen, Professionalismus

Abstract

Eine Debatte um Experten und Intellektuelle muss die Sozialfigur des Professionellen berücksichtigen. In der neueren Wissenssoziologie, die insgesamt vom Impetus der Aufwertung des Alltagswissens gegenüber den von Scheler so genannten höheren Wissensformen getragen war, gelten Intellektuelle als Gegenexperten in dem Sinne, dass sie Expertisen abgeben, die nicht nachgefragt werden. Dies schließt nicht aus, dass es sich gerade hierbei, d.h. gerade aufgrund der Ungefragtheit um ›besseres Wissen‹ handeln könnte. Aus dieser Perspektive sind Intellektuelle jedenfalls in gewisser Weise ›Wilde‹, ungezähmte Besser-Wisser. Demgegenüber ist der Professionelle, den ich als typisch moderne Ausprägung des Experten begreife, durch Zertifikate und Lizenzen ›gezähmt‹ und in durch Profession und Organisation häufig gleich doppelt eingehegt. Damit ist seine Expertise verlässlich gemacht, zugleich aber an Standards und Konventionen gebunden, was gesellschaftlich nicht nur zum Vorteil geraten muss.

Autor/innen-Biografie

Michaela Pfadenhauer, Universität Wien

Universität Wien

Institut für Soziologie

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Veröffentlicht

2017-09-19

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Rubrik

Ad-Hoc: ›Besseres Wissen‹ zwischen Abgrenzung und Öffnung