Der Islam im deutschen Mediendiskurs: Grenzziehungen und Fremdheitskonstruktionen am Beispiel der Wulff-Debatte 2010

Autor/innen

  • Maximilian Breger Universität Siegen

Schlagworte:

Islam, Diskurs, Medien, Phänomenstruktur, Integration, nationale Identität

Abstract

Der Islamdiskurs in den deutschen Medien kann als ein konflikthafter Aushandlungsprozess über nationale Zugehörigkeit und kulturelle Homogenität verstanden werden. Die Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit 2010 ist hierbei ein wichtiges diskursives Ereignis. Denn der Satz: Der „Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ wurde zum entscheidenden Streitpunkt einer öffentlichen Debatte, in der explizit die Frage nach der Zugehörigkeit des Islam zu der kollektiven Identität ‚deutsch‘ gestellt wurde und die Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war. Dabei traten bestimmte diskursive Strategien der Grenzziehung und Fremdheitskonstruktion zutage.

Der untersuchten Debatte voraus geht eine Verschränkung von Islam- mit Integrationsdiskursen auf den Diskursebenen Politik, Medien und Wissenschaft, in dem Fragen der Integration vornehmlich als Fragen des Islam behandelt werden. Dabei kommt es zu einer homogenisierenden ‚neoethnischen‘ (Olivier Roy) Verwendung der Kategorie ‚muslimisch‘, die auf Basis einer unterstellten gemeinsamen Herkunft aus Islamischen Ländern konstruiert wird, ungeachtet kultureller Unterschiede oder tatsächlicher Religiosität.

Die Untersuchung richtet sich nach den Vorschlägen Reiner Kellers zur Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Ihr zugrunde liegt ein Datenkorpus von 181 Artikeln aus den deutschen Leitmedien und aus drei Zeitungen der politischen ‚Ränder‘ sowie einigen Abbildungen. Ausgewählte Daten wurden einer Feinanalyse unterzogen, mit der die relevanten diskursiven Positionen, Narrative und sprachlichen Mittel erfasst wurden.

Es zeigte sich eine Polarisierung der Positionen entlang des ‚Rechts-Links‘-Schemas in den deutschen Medien. Jedoch verbleiben diese im Wesentlichen in einem gemeinsamen Sagbarkeitsraums, der als Phänomenstruktur (Reiner Keller) bestehend aus sieben Dimensionen entwickelt wird. In der inhaltlichen Bestimmung der Dimensionen und in ihren Beziehungen zueinander werden die diskursiven Strategien der Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremdem(bspw. durch eine Kulturalisierung des Grundgesetzes) deutlich. Insofern kann die präsentierte Phänomenstruktur auch bei Auseinandersetzungen mit aktuellen Prozessen sozialer Schließung beitragen.

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Veröffentlicht

2017-09-15

Ausgabe

Rubrik

Sektion Religionssoziologie: Mechanismen sozialer Schließung im Zusammenhang von Religion, weltweiter Migration und Fl