Die soziale Funktion von "Therapieresistenz"

Abstrakte Handlungskoordination bei schwerwiegenden Depressionen

Autor/innen

  • Moritz von Stetten Universität Bonn

Schlagworte:

Depressionen, Medizinsoziologie, Körpersoziologie, Leibphänomenologie, Gesellschaftstheorie

Abstract

Seit den 1970er Jahren findet das Konzept der "Therapieresistenz" zunehmend Verbreitung in medizinisch-psychiatrischen Fachdiskursen. Der Beitrag beschäftigt sich mit der sozialen Funktion dieser neuen Semantik im Kontext des psychiatrisches Diskurses rund um die Diagnose und Behandlung schwerwiegender Depressionen. Im Anschluss an leibphänomenologische und gesellschaftstheoretische Überlegungen wird die These vertreten, dass es sich dabei um eine Form der abstrakten Handlungskoordination handelt. Mit Rückgriff auf die vier Dimensionen der Explikation, Abstraktion, Differenzierung und Inklusion wird dem Konzept der Therapieresistenz eine Scharnierfunktion zwischen psychiatrischem Fachdiskurs und klinischer Praxis zugeschrieben. Demnach handelt es sich nicht um eine Tatsache im Sinne einer evidenzbasierten Medizin, sondern um ein epistemisches Konzept, das verschiedene soziale Kontexte überbrückt und integriert.

Literaturhinweise

Belz, M., M. Besse, L. Krech, I. Methfessel und D. Zilles. 2018. Wirksamkeit und Verträglichkeit der Elektrokonvulsionstherapie: Einfluss des klinischen Ansprechens aus Patientensicht. Der Nervenarzt 11:1271–1276.

Castel, Robert. 1979. Die psychiatrische Ordnung: das goldene Zeitalter des Irrenwesens. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Dörner, Klaus. 1975. Bürger und Irre: zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. Frankfurt am Main: Fischer.

Fähndrich, Erdmann und Rolf-Dieter Stieglitz. 2018. Leitfaden zur Erfassung des psychopathologischen Befundes: halbstrukturiertes Interview anhand des AMDP-Systems. Göttingen: Hogrefe.

Finzen, Asmus. 1998. Das Pinelsche Pendel. Die Dimension des Sozialen im Zeitalter der biologischen Psychiatrie. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Freyhan, Fritz A. 1974. Contributions to the Definition of Therapy-Resistance and of the Therapy-Resistant Depressions. Pharmakopsychiatry 2:70–75.

Küchenhoff, Joachim. 2017. Depression. Bonn: Psychosozial-Verlag.

Lampert, Thomas und Edith Scherer. 2017. Angehörige in der Psychiatrie. Köln: Psychiatrie Verlag.

Lindemann, Gesa. 1999. Doppelte Kontingenz und reflexive Anthropologie. Zeitschrift für Soziologie 3:165–181.

Lindemann, Gesa. 2005. Der methodologische Ansatz der reflexiven Anthropologie Helmuth Plessners. In Der methodologische Ansatz der reflexiven Anthropologie Helmuth Plessners, Hrsg. Gerhard Gamm, Mathias Gutmann und Alexandra Manzei, 83–98. Bielefeld: transcript.

Lindemann, Gesa. 2009. Das Soziale von seinen Grenzen her denken. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

Lindemann, Gesa. 2011. Der menschliche Leib von der Mitwelt her gedacht. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 4:591–603.

Lindemann, Gesa. 2014. Weltzugänge: die mehrdimensionale Ordnung des Sozialen. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

Lindemann, Gesa. 2017. Leiblichkeit und Körper. In Leiblichkeit und Körper, Hrsg. Robert Gugutzer, Gabriele Klein und Michael Meuser, 57–66. Wiesbaden: Springer VS.

Luhmann, Niklas. 1984. Soziale Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Messer, Thomas und Max Schmauß. 2009. Therapieresistenz in der Behandlung unipolarer Depressionen. In Therapieresistenz in der Behandlung unipolarer Depressionen, Hrsg. Thomas Messer und Max Schmauß, 1–40. München: Urban & Fischer.

Nickel, Thomas. 2003. Ausweg aus dem Dilemma? Tagklinik bei therapieresistenter Depression. NeuroTransmitter 4:68–72.

Plessner, Helmuth. 1975. Die Stufen des Organischen und der Mensch: Einleitung in die philosophische Anthropologie. Berlin: de Gruyter.

Plessner, Helmuth. 1981. Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltansicht. In Macht und menschliche Natur. Ein Versuch zur Anthropologie der geschichtlichen Weltansicht, Hrsg. Helmuth Plessner, 135–234. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Renn, Joachim. 2006. Übersetzungsverhältnisse: Perspektiven einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

Ruhé, Henricus G., Geeske van Rooijen, Jan Spijker, Frenk P. M. L. Peeters und Aart H. Schene. 2012. Staging methods for treatment resistant depression. A systematic review. Journal of Affective Disorders 1:35–45.

Rush, Augustus John und Michael Edward Thase. 1995. Treatment-resistant Depression. In Treatment-resistant Depression, Hrsg. F.E. Bloom und D.J. Kupfer, 1081–1097. New York: Raven Press Ltd.

Rush, Augustus John und Michael Edward Thase. 1997a. Strategies and tactics in the treatment of chronic depression. The Journal of Clinical Psychiatry 14–22.

Rush, Augustus John und Michael Edward Thase. 1997b. When at first you don't succeed: Sequential strategies for antidepressant nonresponders. Journal of Clinical Psychiatry 23–29.

Shorter, Edward. 1998. A History of Psychiatry: From the Era of the Asylum to the Age of Prozac. Hoboken: Wiley.

Souery, D., J. Amsterdam, C. de Montigny, Y. Lecrubier, S. Montgomery, O. Lipp, G. Racagni, J. Zohar und J. Mendlewicz. 1999. Treatment resistant depression: methodological overview and operational criteria. European Neuropsychopharmacology 1:83–91.

Trevino, Kenneth, Shawn M. McClintock, Noelle McDonald Fischer, Ankita Vora und Mustafa M. Husain. 2014. Defining treatment-resistant depression: A comprehensive review of literature. Annals of Clinical Psychiatry 3:222–232.

Downloads

Veröffentlicht

2019-07-08

Zitationsvorschlag

[1]
von Stetten, M. 2019. Die soziale Funktion von "Therapieresistenz": Abstrakte Handlungskoordination bei schwerwiegenden Depressionen. Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018. 39, (Juli 2019).

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Komplexe Dynamiken zwischen Medizin und Alltagswelt. Sozialer Wandel im Spannungsfeld zwischen der Institutionalisierung medizinischer Innovationen und ihrer individuellen Übersetzung in Alltagserfahrungen