Gesellschaftliche Risikodiskurse durch die Linse der Literatur: Zur (inter-)subjektiven Deutung wissenschaftlichen Wissens in ‚Reading Groups’ am Beispiel des Romans Flight Behavior

Autor/innen

  • Sonja Fücker Universität Bremen
  • Uwe Schimank Universität Bremen

Abstract

‚Risiko’ gilt als zentrales Merkmal moderner Wissensgesellschaften (Beck 1986; Douglas, Wildavsky 1982; Luhmann 1991; Stehr 1994). Für den Wandel zur Gesellschaftsformation der Wissensgesellschaft ist die wachsende Bedeutung wissenschaftlichen Wissens ebenso konstitutiv wie die Steigerung von Unsicherheit und Ungewissheit und damit der Umgang mit Risiko als unintendierte Folge von Fortschritt: Wissenschaftliche Erkenntnisse zu globalen Klimaveränderungen sind nicht (mehr) potentielle (Natur-)Gefahren unbeeinflussbarer Ereignisse, sondern von Menschen produzierte und zu bewältigende (Umwelt-)Risiken.

Mit dem zunehmenden Einfluss von Risikowissen haben sich auch das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit und damit die Kommunikations- und Informationsanforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisproduktion verändert (vgl. z.B. Weingart 2005). Wissenschaftliche Diagnosen zu schmelzenden Gletschern und langfristigen Folgen der Erderwärmung werden der gesellschaftlichen Öffentlichkeit durch kommunikative Vermittlung zugänglich gemacht. Moderne Massenmedien als Vermittlungsinstanzen ‚wahren, gesicherten’ Wissens der Wissenschaft nehmen eine tragende Rolle in jenen Prozessen der Wissenschaftskommunikation ein.

Die wachsende Popularität von climate change fiction im literarischen Genre des Wissenschaftsromans (Trexler, Johns-Putra 2011) lässt vermuten, dass wissenschaftliche Risikodiskurse neben deren medialen Kommunikation auch durch und in (literarischen) Kunstprodukten verarbeitet werden. Basierend auf dieser Annahme wird in dem Beitrag diskutiert, inwiefern Literatur dem Transfer wissenschaftlicher Risikowissensbereiche in die gesellschaftliche Öffentlichkeit dient. Im Zentrum des Beitrags steht folglich die empirisch geleitete Frage, (1) ob literarische Narrative zu (umweltbezogenem) Risikowissen Einfluss auf subjektive Deutungsprozesse ausüben, und wenn ja, (2) welche Art von (Risiko-)Konstruktionen und -deutungen sich identifizieren lassen.

Diese Fragen werden in dem Beitrag am Beispiel des zeitgenössischen Wissenschaftsromans Flight Behavior auf der Basis von Rezeptionsprozessen in Gemeinschaften von Lesern behandelt. Mit der Analyse gruppenbasierter Deutungsprozesse in englischsprachigen Reading groups werden intersubjektive Deutungsprozesse und damit die diskursive Konstruktionen wissenschaftlichen Risikowissens in den Blick genommen. Der Beitrag nimmt in einem ersten Schritt Risikonarrative aus dem literarischen Textnarrativ von Flight Behavior in den Blick, die auf der Basis risikotheoretischer Perspektiven interpretiert werden (I.). Die extrahierten Romannarrative dienen folgend als Analysefolie für gruppenbasierte Leserrezeptionen einer analysierten Romandiskussion (II.). Abschließend werden die beiden Analyseebenen der Romaninterpretation und der empirischen Datenerhebung in einer Schlussbetrachtung gegenübergestellt, in der das Potenzial literarischer Texte als Übersetzungsmedium wissenschaftlichen (Risiko-)Wissens diskutiert wird (III.) 

Autor/innen-Biografien

Sonja Fücker, Universität Bremen

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Uwe Schimank, Universität Bremen

Professor für Soziologische Theorie

Literaturhinweise

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Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Ad-hoc: Gefährliche Forschung? – Literatur als Wissenschaftsfolgenabschätzung