Körper in "anderen Umständen" - Schwangerschaft und Praktiken der Vergeschlechtlichung

Autor/innen

  • Yvonne Niekrenz Universität Rostock

Schlagworte:

Schwangerschaft, Körper, Geschlecht

Abstract

Der Beitrag thematisiert Schwangerschaft als eine gravierende Umbruchphase in der Lebensgeschichte vieler Frauen. Insbesondere die erste Schwangerschaft geht mit Verunsicherungen einher, die auch mit Veränderungen eines nun schwangeren Leibs und Körpers zu tun haben. Das Denken-wie-üblich gerät in eine Krise. Auf der Grundlage empirischen Materials wird nachgezeichnet, wie aufgrund körperlicher Veränderungen zunächst Verunsicherungen und der Verdacht einer Schwangerschaft entstehen und der Körper in eine Krise gerät, bis diese dann beim Feststellen der Schwangerschaft schrittweise normalisiert wird. Dennoch bleibt der Körper in einer Übergangsphase und in einem Ausnahmezustand, der veränderter Verhaltensweisen (z.B. Wissensaneignung, Körperpflege), bestimmter Verhaltensvorschriften (z.B. Ernährungs- und Bewegungsverbote), medizinischer Kontrolle und auch psychosozialer Auseinandersetzungen bedarf. Der Körper wird für das Selbstkonzept der werdenden Mütter bedeutsam, denn er symbolisiert das Werden sichtbar und unsichtbar.

Schwangerschaft als Leib-Körper-biographisches Schlüsselerlebnis geht mit vielfältigen Praktiken der Vergeschlechtlichung einher. Dies betrifft die Wissensaneignung, bei der auf vergeschlechtlichte Wissensvorräte zurückgegriffen wird; dies betrifft ebenso geschlechternormierte und -normierende (Körper-)Vorschriften, die sich an die Frauen als verantwortungsvolle Mütter richten. In vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Praktiken sind aber auch die Partnerschaft und die Vorstellungen von Schwangerschaft und Elternschaft mit einem männlichen oder weiblichen Kind eingebunden. Der Beitrag zeichnet nach, wie Frauen ihren schwangeren Körper erleben und bearbeiten, wie sie ihre Schwangerschaft erfahren und wie dabei Praktiken der Vergeschlechtlichung bedeutsam sind. Schwangerschaft gilt im Alltagswissen unhinterfragt als das „Natürlichste“ und das „Weiblichste“ der Welt. Nicht selten sind damit implizit Geschlechterhierarchien und Unterwerfungslogiken gemeint, mit denen Frauen in der Schwangerschaft mehr als je zuvor konfrontiert sind.

Literaturhinweise

Bailey, L. 1999: Refracted Selves? A Study of Changes in Self-Identity in the Transition to Motherhood. Sociology, 33 Jg., Heft 2, 335‒352.

Beck-Gernsheim, E. D. 1996: Die soziale Konstruktion des Risikos. Das Beispiel Pränataldiagnostik. Soziale Welt. Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis, 47. Jg., Heft 3, 284‒296.

Duden, B. 1991: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben. Hamburg: dtv.

Heimerl, B. 2013: Die Ultraschallsprechstunde. Eine Ethnografie pränataldiagnostischer Situationen. Bielefeld: transcript.

Hirschauer, S., Heimerl, B., Hoffmann, A., Hofmann, P. 2014: Soziologie der Schwangerschaft. Explorationen pränataler Sozialität. Stuttgart: Lucius & Lucius.

Honer, A. 1993: Lebensweltliche Ethnographie. Ein explorativ-interpretativer Forschungsansatz am Beispiel von Heimwerker-Wissen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

Kolip, P. 2000: Frauenleben in Ärztehand. Die Medikalisierung weiblicher Umbruchphasen. In P. Kolip (Hg.), Weiblichkeit ist keine Krankheit. Die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen. Weinheim, München: Juventa, 9‒30.

Maier, M. 2000: Milieuspezifische Verkörperungen von Weiblichkeit. Zur Symbolik des schwangeren Körpers. In C. Koppetsch (Hg.), Körper und Status. Zur Soziologie der Attraktivität. Konstanz: UVK, 125‒145.

Mozygemba, K. 2011: Die Schwangerschaft als Statuspassage. Das Einverleiben einer sozialen Rolle im Kontext einer nutzerinnenorientierten Versorgung. Bern: Huber.

Sänger, E., Dörr, A., Scheunemann, J., Treusch, P. 2013: Embodying Schwangerschaft: pränatales Eltern-Werden im Kontext medizinischer Risikodiskurse und Geschlechternormen. Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 1, 56‒71.

Schadler, C. 2013: Vater, Mutter, Kind werden. Eine posthumanistische Ethnographie der Schwangerschaft. Bielefeld: transcript.

Schindele, E. 1995: Schwangerschaft. Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko. Hamburg: Rasch und Röhring.

Schütz, A., Luckmann, T. (2003): Strukturen der Lebenswelt. Konstanz: UTB.

Schütze, Y. 1991: Die gute Mutter. Zur Geschichte des normativen Musters »Mutterliebe«, 2. Aufl. Bielefeld: Kleine.

Soeffner, H.-G. 2004: Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung. Zur wissenssoziologischen Konzeption einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik, 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Konstanz: UVK.

Sontowski, C. 2010: »Körper und Geschlecht in der Schwangerschaft. Aneignung medizinischen Wissens durch Gynäkolog_innen und schwangere Frauen«. Onlinejournal Kultur und Geschlecht, No. 6, URL: www.ruhr-uni-bochum.de/genderstudies/kulturundgeschlecht/pdf/Sontowski_KoerperUndGeschlecht.pdf (letzter Auf¬ruf 3. Februar 2015).

Downloads

Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Sektionen Frauen- u. Geschlechterf. / Soziologie d. Körpers u. d. Sports: Get (yourself ) together – Körper in Krisen