Abgehängte Avantgarde – Die Armutsrisiken Alleinerziehender und die Agenda 2010
Schlagworte:
Alleinerziehende, Armut, Hartz IV, Erwerbsbeteiligung von Müttern, DeutschlandAbstract
Der Anteil Alleinerziehender ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland deutlich angestiegen. Gleichzeitig sind Alleinerziehende zunehmend von Armut betroffen. Die Veränderung des Armutsrisikos kann dabei auf drei Ursachen zurückgeführt werden. Einerseits kann sich die Ressourcenausstattung von allein erziehenden Müttern geändert haben, z. B. die Erwerbsbeteiligung oder Bildungsabschlüsse. Andererseits kann sich das Armutsrisiko bei gleicher Ressourcenausstattung verändert haben, z. B. wenn höhere Bildungsabschlüsse kein ausreichendes Einkommen mehr garantieren. Schließlich wird das Armutsrisiko Alleinerziehender auch von den familienpolitischen Maßnahmen und Familienrecht geprägt, z. B. staatlichen Unterstützungsleistungen und Regelungen im Unterhaltsrecht. Das Armutsrisiko Alleinerziehender ändert sich demnach, wenn sich entweder das mit bestimmten Charakteristiken einhergehende Risiko oder aber deren Verteilung – oder beides – verändert.Unser Beitrag zeigt mithilfe von Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP), wie und warum das Armutsrisiko Alleinerziehender in den letzten drei Jahrzehnten gestiegen ist. Mithilfe von Effekt-Dekompositionen und kontrafaktischer Simulationen zeigen wir, inwieweit diese Veränderungen sowohl auf bestimmte soziodemografische Verschiebungen innerhalb der Population der Alleinerziehenden als auch auf eine Veränderung der Risiken zurückgeführt werden können. Als Hauptursache für das gesteigerte Armutsrisiko kann die Akkumulation multipler Risikofaktoren bei Alleinerziehenden identifiziert werden, der eigentliche Diskriminierungseffekt geht hingegen zurück. Familienpolitische Maßnahmen können damit zwar einen Teilerfolg bei der Reduzierung des Armutsrisikos für sich beanspruchen, gleichzeitig scheinen die Maßnahmen jedoch zu wenig auf Personen mit multiplen Risikofaktoren ausgerichtet zu sein.
Literaturhinweise
Ahner, R. 2013: Eckpunktepapier des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung des Systems monetärer Unterstützung von Familien und Kindern.
Andreß, H.-J., Seeck, T. 2007: Ist das Normalarbeitsverhältnis noch Armutsvermeidend: Erwerbstätigkeit in Zeiten deregulierter Arbeitsmärkte und des Umbaus der Sozialsysteme. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 59. Jg., Heft 3, 459–492.
Borooah, V. K., Sriya, I. 2005: The decomposition of inter-group differences in a logit model: Extending the Oaxaca-Blinder approach with an application to school enrolment in India. Journal of Economic and Social Measurement, 30. Jg., 279–293.
Butterwegge, C. 2012: Kinderarmut in Deutschland. Der Bürger im Staat, 62. Jg., Heft 4, 241–246.
Citro, C., Michael, R. 1995: Measuring poverty: A new approach. Washington, DC: National Academy Press.
Gerlach, I., Heddendorp, H. 2016: Expertise zum Thema „Kindergrundsicherung“. Münster: Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik.
Gießelmann, M. 2009: Arbeitsmarktpolitischer Wandel in Deutschland seit 1991 und das Working-Poor-Problem. Einsteiger als Verlierer des Reformprozesses? Zeitschrift für Soziologie, 38. Jg., Heft 2, 215–238.
Hohnerlein, E. M. 2014: Unterhalts- und Betreuungsleistungen für Kinder in Deutschland. In U. Becker, E.M. Hohnerlein, O. Kaufmann, S. Weber (Hg.), Die „dritte Generation“. Rechte und Förderung von Kindern in Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden. Baden-Baden: Nomos, 71–221.
Hübenthal, M. 2009: Kinderarmut in Deutschland: Empirische Befunde, kinderpolitische Akteure und gesellschaftspolitische Handlungsstrategien. Expertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts. München: Deutsches Jugendinstitut, Arbeitsstelle Kinder- u. Jugendpolitik.
Jaehrling, K., Erlinghagen, M., Kalina, T., Mümken, S., Mesaros, L., Schwarzkopf, M. 2011: Arbeitsmarktintegration und sozioökonomische Situation von Alleinerziehenden. Ein empirischer Vergleich: Deutschland, Frankreich, Schweden, Vereinigtes Königreich. Forschungsbericht im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Duisburg: Institut für Arbeit und Qualifikation.
Jaehrling, K., Kalina, T., Mesaros, L. 2014: Mehr Arbeit, mehr Armut? Ausmaß und Hintergründe der Entkoppelung von Erwerbsarbeit und materieller Sicherheit von Alleinerziehenden im Ländervergleich. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 66. Jg., Heft 3, 343–370.
Jurczyk, K., Klinkhardt, J. 2014: Vater, Mutter, Kind? Acht Trends in Familien, die Politik heute kennen sollte. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.
Kull, S., Riedmüller, B., Münzner, K. 2007: Auf dem Weg zur Arbeitsmarktbürgerin? Neue Konzepte der Arbeitsmarktpolitik am Beispiel alleinerziehender Frauen. Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung. Bd. 84. Berlin: Ed. Sigma.
Kraus, T. 2014: Wege aus der Armut für Alleinerziehende. Wiesbaden: Springer VS.
Krause, N. R., Schneider, U., Stilling, G., Woltering, C. 2014: Die zerklüftete Republik. Bericht zur regionalen Armutsentwicklung. Berlin: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband e. V.
Lietzmann, T. 2009: Bedarfsgemeinschaften im SGB II: Warum Alleinerziehende es besonders schwer haben. Nürnberg: IAB-Kurzbericht 12.
Lessenich, S. 2013: Die Neuerfindung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus. Bielefeld: transcript.
Lenze, A. 2014: Alleinerziehende unter Druck: Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Nielsen, H. 1998: Discrimination and detailed decomposition in a logit model. Economics Letters, 61. Jg., 115–120.
Schulze, A., Dreier, V. 2015: Der Beitrag des sozialen und demographischen Strukturwandels zur Armutsentwicklung in Deutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 67. Jg., Heft 2, 197–216.
Schupp, J., Göbel, J., Kroh, M., Schröder, C., Bügelmayer, E., Grabka, M., Giesselmann, M., Krause, P., Kühne, S., Liebau, E., Richter, D., Siegers, R., Schmelzer, P., Schmitt, C., Schnitzlein, D., Tucci, I., Wenzig K., German Institute for Economic Research, 2015: Socio-Economic Panel (SOEP), data from 1984–2013.
Schraad-Tischler, D., Kroll, C. 2015: Social Justice in the EU. A Cross-national Comparison: Social Inclusion Monitor Europe (SIM) - Index Report. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Tophoven, S., Wenzig, C., Lietzmann, T. 2015: Kinder- und Familienarmut: Lebensumstände von Kindern in der Grundsicherung. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Weinkopf, C. 2014: Niedriglohn ist weiblich. In J. Marquardt, B. Sonnenberg, J. Sudhoff (Hg.), Es geht auch anders: neue Denkanstöße für politische Alternativen. Köln: PapyRossa, 180–186.
Downloads
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Beiträge im Verhandlungsband des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie werden unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International (CC BY-NC 4.0)" veröffentlicht.
Dritte dürfen die Beiträge:
-
Teilen: in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten
-
Bearbeiten: remixen, verändern und darauf aufbauen
unter folgenden Bedinungen:
-
Namensnennung: Dritte müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden
-
Nicht kommerziell: Dritte dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen