Ein Leben in zwei Gesellschaftssystemen. Zum gebrochenen Elitehabitus der DDR-Geheimdienstmitarbeiter

Autor/innen

  • Uwe Krähnke Universität Bielefeld Fakultät für Soziologie

Schlagworte:

Stasi, MfS-Mitarbeiter, Staatssozialismus, DDR, Habitus, Wende

Abstract

Konstitutiv für die hauptamtliche Tätigkeit in der DDR-Staatssicherheit (MfS) war ein stark politisiertes und ideologisch aufgeladenes Freund-Feind-Schema. Nicht nur im Dienst sondern auch im Privatleben dachten und handelten die Angehörigen dieses repressiven Staatsorgans nach dem Grundsatz: „Wer nicht für den Sozialismus ist, ist gegen den Sozialismus“. Wie diese symbolische Grenzziehung die Lebensführung und den Habitus dieser Personengruppe prägte, ist Gegenstand des ersten Vortragsteils. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die miteinander verzahnten Praktiken der sozialen Schließung: die Selbstunterwerfung der Mitarbeiter unter die Institutionenordnung des MfS und ihre lebensweltliche Abschottung sowie die mentale Distinktion gegenüber Personen, die „nicht auf Parteilinie“ waren.

Entgegen der gängigen Beschreibungen, in denen den Stasi-Mitarbeitern ein „blinder Gehorsam“ und ein minimiertes Rollenset attestiert werden, ergab die Analyse von narrativen autobiografischen Interviews, dass der Dienst für die DDR-Staatssicherheit ein hohes Maß an Reflexivität und intrinsischer Motivation erforderte. Rekonstruierbar ist zudem ein gebrochener Elitenhabitus, der quasi-religiöse Züge trägt: zwar wähnten sich die Geheimdienstmitarbeiter zu einer gesellschaftlichen Führungsrolle im SED-Staat „berufen“, aber zugleich verstanden sie sich als „dienende“ Parteisoldaten.

Gerade für MfS-Mitarbeiter brachte die „Wende“ 1989/90 enorme Herausforderungen: Plötzlich mussten sie sich im zuvor bekämpften „Feindesland“ einrichten. Bildeten sie in der DDR aufgrund ihrer totalen Einbindung in das MfS und ihrer kollektiven Selbstheroisierung eine „geschlossene Gemeinschaft“, wurden sie nun selbst als „Täter des SED-Regimes“ stigmatisiert. Wie diese Erfahrung, Grenzgänger zweier völlig verschiedener Gesellschaftssysteme zu sein, biografisch verarbeitet wurde, ist Gegenstand des zweiten Vortragsteils.

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Veröffentlicht

2017-09-22

Ausgabe

Rubrik

Sektion Methoden der qualitativen Sozialforschung: Grenzgebiete, Grenzkonflikte, Grenzgänger I