Die dörfliche Nachbarschaft: Idyll, Ressource oder überholtes Ideal?
Schlagworte:
Nachbarschaft, Ländlicher Raum, FreiwilligensurveyAbstract
Die dörfliche Nachbarschaft gilt gemeinhin als Ideal von Gemeinschaft, in der im Vergleich zu Großstädten stärkere soziale Beziehungen und häufigere gemeinsame Aktivitäten gepflegt werden. Nachbarschaft erscheint dabei als soziale Einheit, die auch angesichts der grundlegenden Veränderungen bedingt durch den demographischen und technischen Wandel sowie die Umstrukturierung der Arbeitswelt Bestand hat und den Belastungen durch diese standhält.
Nachbarschaft – nicht nur die dörfliche – wird zunehmend sogar als neue zivilgesellschaftliche Ressource betrachtet, die insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen bei der Bewältigung zentraler Aufgaben helfen soll. Konzeptionell wird Nachbarschaft daher oft als Teil des Dritten Sozialraums (Dörner) gesehen, der im Vergleich zu der privaten und öffentlichen Sphäre zukünftig an Bedeutung gewinnen wird. Der Dritte Sozialraum zielt auf Vergemeinschaftung - Dörner spricht in diesem Zusammenhang von einem „Raum des Gemeinwohls“ – und Solidarität, im Mittelpunkt steht das Miteinander und die gegenseitige Hilfe der Akteure.
Welchen Stellenwert Nachbarschaft innerhalb der dörflichen Gemeinschaft einnimmt, in welchem Ausmaß Nachbarschaftsbeziehungen vorhanden bzw. überhaupt gewünscht sind und was Nachbarschaft zu leisten imstande ist, bleibt allerdings häufig unklar. Das Ziel dieses Beitrags besteht daher in dem Versuch, den Begriff der Nachbarschaft genauer zu definieren und historische Veränderungen zu berücksichtigen. Die theoretischen Betrachtungen werden dabei gestützt durch die empirischen Ergebnisse einer Regionalstudie sowie Berechnungen mit Hilfe des Freiwilligensurveys. Im Mittelpunkt steht dabei die Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage nach der Tragweite des Nachbarschaftskonzepts im Hinblick auf die künftig zu lösenden Probleme im Zuge des demographischen Wandels.
Literaturhinweise
Deutschland Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften. Berlin.
Dörner, K. 2015: Leben und sterben, wo ich hingehöre. Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. 8. Auflage. Neumünster: Paranus Verlag.
Fachinger, U. 2015: Materielle Versorgung im Alter: Zur regionalen Bedeutung von Alterssicherungssystemen. In Fachinger, U., Künemund, H. (Hg.), Gerontologie und ländlicher Raum. Lebensbedingungen, Veränderungsprozesse und Gestaltungsmöglichkeiten. Vechtaer Beiträge zur Gerontologie. Wiesbaden: Springer VS, 113–138.
Günther, J. 2005: Das soziale Netz der Nachbarschaft als System informeller Hilfe. Gruppendynamik und Organisationsberatung, 36. Jg., Heft 4, 427–442.
Günther, J., Nestmann, F. 2000: Quo vadis, Hausgemeinschaft? Zum Wandel nachbarschaftlicher Beziehungen in den östlichen Bundesländern. Gruppendynamik, 31. Jg., Heft 3, 321–337.
Hamm, B. 1973: Betrifft: Nachbarschaft. Verständigung über Inhalt und Gebrauch eines vieldeutigen Begriffs. Düsseldorf: Bertelsmann Fachverlag.
Henkel. G. 2014: Das Dorf. Landleben in Deutschland – gestern und heute. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Klie, T. 2014: Caring Community – leitbildfähiger Begriff für eine generationenübergreifende Sorgekultur? ISS-Aktuell, 03/2014, 10–23.
Klie, T., Marzluff, S. 2012: Engagement gestaltet ländliche Räume. Chancen und Grenzen bürgerschaftlichen Engagements zur kommunalen Daseinsvorsorge. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 8/2012, 748–755.
Kohli, M., Künemund, H. 2001: Geben und Nehmen. Die Älteren im Generationenverhältnis. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Vol. 4, Issue 4, 513–528.
Kricheldorff, C., Klott, S., Tonello, L. Sorgende Kommunen und Lokale Verantwortungsgemeinschaften. Modellhafte Ansätze zur Sicherung von gelingendem Altern und Pflege im Quartier. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 5/2015, 408–414.
Künemund, H. 2009: Erwerbsarbeit, Familie und Engagement in Deutschland. In J. Kocka, M. Kohli, W. Streeck (Hg.), Altern: Familie, Zivilgesellschaft, Politik. Halle: Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. (Nova Acta Leopoldina Band 106 Nr. 370), 19–39.
Limbourg, M. 2015: Mobilität im höheren Lebensalter in ländlichen Gebieten: Probleme und Lösungsansätze. In U. Fachinger, H. Künemund (Hg.), Gerontologie und ländlicher Raum. Lebensbedingungen, Veränderungsprozesse und Gestaltungsmöglichkeiten. Vechtaer Beiträge zur Gerontologie. Wiesbaden: Springer VS, 77–98.
Philippsen, C. 2014: Soziale Netzwerke in gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Eine empirische Analyse von Freundschaften und sozialer Unterstützung. Opladen u.a.: Budrich UniPress.
Reutlinger, C., Stiehler, S., Lingg, E. 2015: Nachbarschaft im heutigen Kontext. In C. Reutlinger et al. (Hg.), Soziale Nachbarschaften. Geschichte, Grundlage, Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS, 59–60.
Rienhoff, O. 2015: Gesundheitliche und pflegerische Versorgung im ländlichen Raum. In Fachinger, U., Künemund, H. (Hg.), Gerontologie und ländlicher Raum. Lebensbedingungen, Veränderungsprozesse und Gestaltungsmöglichkeiten. Vechtaer Beiträge zur Gerontologie. Wiesbaden: Springer VS, 99–112.
Schnur, O. 2012: Nachbarschaft und Quartier. In F. Eckardt (Hg.), Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: Springer, 448–474.
Simonson, J., Hameister, N. 2017: Sozioökonomischer Status und freiwilliges Engagement. In J. Simonson et al. (Hg.), Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 439–464.
Simonson, J., Hameister, N., Vogel, C. 2017: Daten und Methoden des Deutschen Freiwilligensurveys. In J. Simonson et al. (Hg.),Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 51–88.
Tönnies, F. 1963: Gemeinschaft und Gesellschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Wellman, B., Leighton, B. 1979: Networks, Neighborhoods, and Communities. Approaches to the Study of the Community Question. Urban Affairs Quarterly, Vol. 14, 363–390.
Downloads
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Beiträge im Verhandlungsband des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie werden unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International (CC BY-NC 4.0)" veröffentlicht.
Dritte dürfen die Beiträge:
-
Teilen: in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten
-
Bearbeiten: remixen, verändern und darauf aufbauen
unter folgenden Bedinungen:
-
Namensnennung: Dritte müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden
-
Nicht kommerziell: Dritte dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen