Grenzverhältnisse. Vom „Umzug ins Offene“ zum „Rückzug ins Geschlossene“?

Autor/innen

  • Markus Schroer Universität Marburg

Schlagworte:

Grenzen, Globalisierung, Lager, Kontrollgesellschaft, Flüchtlinge, Migration

Abstract

Während noch vor wenigen Jahren eine ›grenzenlose Gesellschaft‹ in Aussicht gestellt wurde, scheint es angesichts der aktuellen Ereignisse rund um die so genannte ›Flüchtlingskrise‹ auf der Hand zu liegen, dass wir nach einem vorübergehenden ›Umzug ins Offene‹ einen ›Rückzug ins Geschlossene‹ erleben. Der Wiederaufbau und die Neuerrichtung von Grenzanlagen im europäischen Raum spricht hier eine deutliche Sprache. Die panische Errichtung von Schutzwällen gegen die ›Flut‹ der Flüchtlinge und die damit einhergehende Rückkehr zu nationalstaatlichen Eigenmächtigkeiten führt zu einer Renaissance des Containerraums, dessen Attraktivität immer darin bestand und weiterhin besteht, klar zwischen innen und außen, hier und dort, eigen und fremd usw. trennen zu können. Statt einer Bagatellisierung oder gar eines Verschwinden des Raumes, von der unter Globalisierungseuphorikern so vollmundig die Rede war, erleben wir eine von vielen kaum mehr für möglich gehaltene Bedeutungszunahme räumlicher Kategorien, geopoliti­scher Strategien und territorialer Begrenzungen.

Bemerkenswert an der gegenwärtigen Lage ist dabei nicht, dass Grenzen wiederkehren, denn diese waren nie wirklich verschwunden. Bemerkenswert ist vielmehr, dass der für alle Augen sichtbare, martialisch aufgerüstete Grenztypus wiederkehrt, von dem man angenommen hatte, dass er durch unsichtbare, elektronische Grenztechnologien ersetzt worden wäre. Da nicht damit zu rechnen ist, dass nun die unsichtbaren und unauffälligen Grenzen im Gegenzug abgebaut werden, haben wir es mit einer Verdopplung von Grenzziehungen und Grenzüberwachung zu tun. Angesichts des per se schlechten Images von Grenzen und der Symbolik des verstärkt wieder zum Einsatz kommenden Stachel­drahts stellt sich die Frage, was diese unverblümte Abschottungsstrategie über das Selbstverständnis der jeweiligen Staaten und die Zukunft des Schengenraums aussagt. Da-rüber hinaus stellt sich die Frage, wie viele der als vorübergehende Einrichtungen ge-kennzeichneten Lager zu dauerhaften werden. Nimmt man hinzu, dass sich die national­staatlichen Räume in Angsträume, Rückzugsräume, Transitzonen, gated communities, Flüchtlingslager und -korridore, öffentliche und private Räume usw. aufteilen, so haben wir es mit einer umfassenden Diversifizierung und Überlagerung von Räumen und Raumordnungen zu tun, die zur Grundlage der sozialen Ordnung werden.

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Veröffentlicht

2017-09-22

Ausgabe

Rubrik

Plenum 4 - Migration: Öffnung, Integration, Abschottung