Der Wille zum Sozialen – Lars Clausen und die „Wiederbelebung“ des „Kieler Hausgeistes“ Ferdinand Tönnies

Autor/innen

  • Peter-Ulrich Merz-Benz Universität Zürich

Schlagworte:

Wille, Vertrag, Sozialverhältnis, Sozialität, Gemeinschaft und Gesellschaft, Handlungstheorie

Abstract

»Als wir [1980] das erste Tönnies-Symposion organisierten«, war – wie Lars Clausen in ›Meine Einführung in die Soziologie‹ festhält – Tönnies »fast schon tot«. Tönnies wurde jedoch wiederbelebt, auch und gerade durch die aufkommende Tönnies-Forschung, es erscheint sein Gesamtwerk – dank Lars Clausen –, und jetzt gilt es, die Auseinanderset­zung mit Tönnies weiterzuführen, sprich: Tönnies’ Soziologie dauerhaft ›am Leben‹ zu halten. Dies kann nur heißen, Tönnies’ Soziologie, näherhin seine soziologische Theorie in Kategorien der modernen Soziologie zu übersetzen, mithin die Voraussetzungen schaffend für die (weitere) Bestimmung aktueller sozialer Phänomene – und vielleicht vermögen von Tönnies aus ja sogar Defizite der ›modernen‹ soziologischen Theorie(n) aufgewiesen zu werden. Eine Schlüsselstellung kommt hierbei dem Begriff des Willens zu, auf dessen Bedeutung für die Soziologie auch Lars Clausen wiederholt hingewiesen hat. ›Soziale Verhältnisse zu begreifen stellt‹– so Tönnies – ›die Aufgabe einer theoretischen Wissenschaft‹, der Soziologie ›dar‹. ›Nur der Gedanke vermag‹ die ›Objekte‹ dieser Wissenschaft ›zu erkennen‹. Dazu aber bedarf die Soziologie der entsprechenden Kategorien, wie eben der Kategorie des Willens. Für Tönnies gilt: Der Begriff des Willens als Begriff von Kollektivgebilden, von etwas ›Geltensollendem‹, ist die Möglichkeitsbedin­gung zur Denkbar- und Darstellbarmachung der Aufrechterhaltung von Sozialformen im menschlichen Handelns und durch dieses. Allein mittels handlungstheoretischer Katego­rien vermögen soziale Gebilde nicht bestimmt zu werden. Von hier aus führt der Weg direkt zu Tönnies‘ Kritik an Max Weber den Begriff des ›eigentlichen Gegenstands der theoretischen [...] Soziologie‹ betreffend, zur Rekonstruktion der Tönniesschen Begriffe von Gemeinschaft und Gesellschaft in Kategorien der Handlungstheorie durch Talcott Parsons sowie zur modernen Handlungstheorie. Das Wichtigste aber ist: am Leitfaden des Willensbegriffs ist es möglich, in die prärationale Sphäre der Sozialwelt vorzustoßen.

Literaturhinweise

Clausen, L. 2015: Meine Einführung in die Soziologie. Frankfurt am Main: Stroemfeld.
Merz-Benz, P.-U. 1995: Tiefsinn und Scharfsinn. Ferdinand Tönnies’ begriffliche Konstitution der Sozialwelt. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Merz-Benz, P.-U. 2009: Die „Formel“ der Geschichte – Ferdinand Tönnies, Gabriel Tarde und die Frage einer Geometrie des sozialen Lebens. In: Ch. Borch, U. Stäheli (Hg.), Soziologie der Nachahmung und des Begeh¬rens. Materialen zu Gabriel Tarde. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 180-225.
Merz-Benz, P.-U. 2016: Erkenntnis diesseits und jenseits des Kantianismus. In: P.-U. Merz-Benz, Erkenntnis und Emanation. Ferdinand Tönnies’ Theorie soziologischer Erkenntnis. Wiesbaden: Springer VS, 61-109.
Parsons, T. 1937: The Structure of Social Action. New York: McGraw-Hill.
Tönnies, F. 1979: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darm-stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Tönnies, F. 2000: Das Wesen der Soziologie (1907). In: F. Tönnies, Gesamt¬ausgabe, Band 15. Berlin: Walter de Gruyter, 477-498.
Tönnies, F. 1981: Einführung in die Soziologie. Stuttgart: Enke.
Weber, M. 1973(a): Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie. In: M. Weber, Gesam-melte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr (Siebeck), 427-474.
Weber, M. 1973(b): Soziologische Grundbegriffe. In: M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr (Siebeck), 541-581.

Downloads

Veröffentlicht

2017-09-14

Ausgabe

Rubrik

AG Sozial- und Ideengeschichte der Soziologie: Lars Clausen: ›Meine Einführung in die Soziologie‹