Das Ganze ist das Un-/Wahre. Totalitätsbegriff als Mittel der Kritik und herrschaftssoziologische Kritik des Totalitätsbegriffs

Autor/innen

  • Dirk Tänzler Universität Konstanz

Schlagworte:

Totalität, System, Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit, Kritik, Herrschaft

Abstract

Der Begriff der Totalität hat eine kritische Funktion im Hinblick auf nicht verallgemeinerbares Wissen oder Meinungen. Insofern ist nur das Ganze das Wahre (Hegel). Totalitätsdenken seinerseits tendiert zur Subsumtion des individuell Konkreten unter ein falsches abstrakt-Allgemeines als Manifestation eines Systems oder Herrschaftsverhältnisses (Marx). So gesehen wäre das Ganze das Unwahre (Adorno). In Bezug auf Empirismus und Positivismus löst der Totalitätsbegriff metaphysische Voraussetzung etwa scheinbar gegebener Daten oder Fakten auf und erlaubt die Rekonstruktion der Reproduktionsprozesse von Wirklichkeiten auf der Grundlage von binären Relationsbestimmungen (Dialektik, Differenzlogik). Umgekehrt birgt der Totalitätsbegriff die Gefahr, diese Reproduktionsprozesse zu letzten Wahrheiten zu stilisieren, etwa Hegels absoluter Geist, Marxens Basis der Produktionsverhältnisse. Totalisierung bedeutet dann Schließung. Geschlossenheit garantiert zum einen Selbstbezüglichkeit und Autonomie, etwa im Sinne der Gestaltpsychologie oder Luhmannschen Autopoiesis, aber auch Selbstzwang im Sinne von Norbert Elias oder der Foucaultschen Gouvernementalität. Der Vortrag diskutiert im ersten Teil („Denken der Totalität und Totalitätsdenken)“ die Implikationen des Totalitätsbegriffs und in einem zweiten Teil seine sozialwissenschaftliche und soziale Verwendung („Totalitarismus als Diskursform“). Totalitarismus als Diskursform und politische Haltung lässt sich verstehen als paradoxe Antwort auf und Abwehr von totalisierenden Tendenzen der Modernisierung („Modernisierungsverlierer“), aktuell in Gestalt der Globalisierung, und des damit ausgelösten oder zumindest gesteigerten Sinnverlusts, auf den mit dem Versuch einer gewaltsame Restitution verbindlicher, wenn nicht zwingender und in diesem Sinne traditionaler Sozialordnung geantwortet wird.

Autor/innen-Biografie

Dirk Tänzler, Universität Konstanz

Professor am FB Geschichte und Soziologie

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Veröffentlicht

2017-12-13

Ausgabe

Rubrik

AG Sozial- und Ideengeschichte der Soziologie: Das Gesellschaftsganze - und der ›Geist‹, der es erfüllt