Organisatorischer Wandel im Mainline Protestantism: Spätmoderne Veränderungsprozesse in rückläufigen religiösen Organisationen in den USA

Autor/innen

Schlagwörter:

Religion, Spätmoderne, religiöses Subjekt, Organisation, Isomorphismus, entrepreneurship, Mainline Protestantism, USA

Abstract

Die religiösen Organisationen des sogenannten Mainline Protestantism, die im 20. Jahrhundert das kirchliche Establishment in den USA ausmachten, haben seit Jahrzehnten mit massivem Mitgliederschwund zu kämpfen. Sie können sich als traditionsorientierte, alternde Kirchen inmitten einer zunehmend individualistischen und subjektzentrierten Gesellschaft kaum behaupten.

Der vorliegende Beitrag erläutert vier distinkte, jedoch eng miteinander verwobene organisatorische Wandlungsprozesse, die sich derzeit in einer der größten Mainline-Denominationen vollziehen, der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA). Die ELCA ist eine ehemals sehr hierarchisch organisierte Kirche, die seit Ende des 20. Jahrhunderts unter massivem Mitgliederschwund leidet: offensichtlich ist sie bislang unfähig, das spätmoderne religiöse Subjekt – welches auf dem religiösen Markt frei wählt und erwartet, in die Gestaltung von Kirche und Glauben gleichberechtigt miteinbezogen zu werden – an sich zu binden. Diese Erkenntnis setzte in den letzten Jahren einen langsamen und langwierigen Prozess des Umdenkens und der Veränderung in Gang, der immer noch andauert und nicht zuletzt auch die Organisationsstruktur der Denomination zum Gegenstand hat. Es wird eine Abflachung der Hierarchie, eine Neudefinition des Führungsbegriffs und der Abbau von überflüssigen Strukturen angestrebt: Pastor/-innen und Mitglieder begegnen sich zunehmend auf Augenhöhe und gestalten das Gemeindeleben gleichberechtigt, Kompetenzen werden von höheren Organisationsebenen auf Gemeinden und regionale Verwaltungszentren verlagert und die Bürokratie wird verschlankt.

Trotz dieser für die Mainline erstaunlichen Reformbemühungen hat der erwartete Mitgliederzuwachs bislang allerdings noch nicht eingesetzt. Ein Grund dafür, so argumentiert der Beitrag, ist die Tatsache, dass es sich bei dem organisatorischen Wandel der ELCA nicht um eine grassroots-Bewegung handelt, sondern um einen vermeintlichen bottom-up-Prozess, der aber top-down implementiert wird. Diese Entwicklung ist aus institutionstheoretischer Perspektive bemerkenswert: trotz der starken isomorphen Kräfte, welchen die ELCA in ihrem Organisationsfeld ausgesetzt ist und welche die Angleichung an andere hierarchisch und bürokratisch organisierte Denominationen theoretisch fördern, ergreifen institutional entrepreneurs  – „unternehmerisch“ denkende und handelnde Führungspersonen – die Initiative und versuchen die Organisation sozusagen vor sich selbst zu retten, indem sie flachere Hierarchien und partizipativere Strukturen entwickeln. Daraus wird zumindest ein Stück weit die Anpassungsfähigkeit von Mainline-Kirchen an den spätmodernen gesellschaftlichen und religiösen Kontext ersichtlich.

Autor/innen-Biografie

  • Maren Freudenberg, Ruhr-Universität Bochum

    Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Post-Doc

    Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES)

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Veröffentlicht

2017-10-11

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Zwischen Mobilisierung und Säkularisierung: institutionelle und organisatorische Bedingungen des religiösen Wa