Hochqualifiziert oder doch unqualifiziert? Wie im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse in Deutschland bewertet werden

Autor/innen

  • Ilka Sommer Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)

Schlagwörter:

Anerkennung, Bildung, Beruf, Migration, Flucht, Staat, Reflexivität, Bourdieu

Abstract

Der Begriff »Qualifikation« stellt im Diskurs um Migration und Flucht eine zentrale Referenz dar, die wesentlich entscheidet, ob »wir Bedarf haben« oder ob »die bedürftig sind«. Aber wie werden Qualifikationen bewertet, die nicht in den eigenen, sondern in anderen Bildungsinstitutionen erworben wurden? Die soziale Praxis der Gleichwertigkeitsprüfung wird erstmals soziologisch reflektiert. Es wird gezeigt, dass es gegenwärtig trotz der sogenannten »Anerkennungsgesetze« in Deutschland kaum Maßstäbe gibt, im Ausland erworbene Qualifikationen zu bewerten. Die Bewertungspraxis basiert vor allem auf einem Aktenvergleich von Ausbildungs- und Studienordnungen. Insbesondere im Hinblick auf die Herkunftsländer der Geflüchteten legen die Richtlinien, Gesetze und Verordnungen die Prozedere maximal vage fest. Der Aushandlungsprozess verlagert sich auf die sozial strukturierte Interaktion zwischen den Bearbeiter/-innen und den Antragsteller/-innen. Ob eine Gleichwertigkeit zu einem deutschen Referenzberuf festgestellt wird oder nicht, ist eine Frage von mindestens drei implizit wirksamen Machtkonstellationen. Erstens, den Beziehungen zu anderen Ausbildungsstaaten, welche von mehr oder weniger Nähe und Vertrauen in die Bildungssysteme gekennzeichnet sind; zweitens, dem Spannungsfeld der Marktinteressen, das sich qualifikationsabhängig zwischen den beiden Polen Liberalismus und Protektionismus bewegt und drittens, der Spirale institutionalisierter Unverantwortlichkeit, die dazu führt, dass die Sachbearbeiter_innen umso mehr auf sich alleine gestellt sind, je konfliktträchtiger die Fälle sind. Selektionsmechanismen sorgen dafür, dass viele Anerkennungssuchende schon aus dem Verfahren fallen, bevor ein als vollständig geltender Antrag gestellt wurde und bevor eine statistische Dokumentation einsetzt. Die Handlungskompetenzen der Sachbearbeiter_innen, die sie in die Interaktion einbringen, reichen von »Reproduzieren können« bis »Transformieren können«.
Die Datenbasis umfasst narrative Interviews in Behörden und Kammern, die »Gleichwertigkeitsprüfungen« durchführen (den Bewertenden) sowie Gruppendiskussionen mit Anerkennungssuchenden (den Bewerteten). Sie wurden mithilfe der Dokumentarischen Methode ausgewertet und metatheoretisch mit der Soziologie Pierre Bourdieus, insbesondere dem »sozialen Feld« und der »symbolischen Gewalt«, verknüpft.

Autor/innen-Biografie

  • Ilka Sommer, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
    Ilka Sommer, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin (Post-Doc) am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Hannover, Arbeitsbereich wissenschaftliche Weiterbildung/offene Hochschulen, 2011-2015 Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin in Soziologie (»summa cum laude«), Promotions­stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung, 2006-2010 wissen­schaftliche Mitar­beiterin bei der Prognos AG in Basel und Berlin, 2004-2006 Master of Arts in Social Sciences im Global Studies Programme (Freiburg, Durban, Neu Delhi).

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Veröffentlicht

2017-09-24

Ausgabe

Rubrik

Plenum 4 - Migration: Öffnung, Integration, Abschottung