Mobilität, Unsicherheit und verdeckte Schließung. Neuformierungen in der Mittelschicht Kenias

Autor/innen

Schlagwörter:

Mittelschicht, Afrika, Kenia, Mobilität, Sozialstruktur

Abstract

Kenia scheint ein typisches Beispiel für die Formierung einer neuen Mittelschicht in Afrika zu sein, deren Kaufkraft und politische Orientierung sie als Träger eines ökonomischen und gesellschaftlichen Aufbruchs in einer offenen Gesellschaft erscheinen lässt. Dieses undifferenziert positive Bild der Mittelschicht wurde inzwischen breit kritisiert. Hier steht vor allem die vermeintliche Stabilität der Mittelschicht im Blickpunkt. Denn es zeigt sich eine umfangreiche parallele Auf- und Abwärtsmobilität. Trotz weiter bestehender Aufstiegschancen und auch bei gutem Einkommen ist die erreichte sozioökonomische Position für viele Familien in Kenia aktuell als auch für die nächste Generation bedroht. Hinzu kommt, dass innerhalb der erweiterten Familie oftmals massive Unterschiede zwischen der sozialen Position der Familienangehörigen bestehen. Diese Fluidität und Spreizung sozialer Positionen in der Familie wurde in der bisherigen Analyse von Gesellschaften häufig übersehen.

Trotz dieser weitgehend fluiden Positionierung zeichnet sich ein verdeckter sozioökonomischer Schließungsprozess ab. Einem Teil der Mittelschicht gelingt es, die Unsicherheit und die Abstiegsrisiken zu reduzieren. Dabei ist das jeweilige Einkommen zwar ein wichtiger, aber eben nicht der entscheidende Faktor. Der Schlüssel für die Analyse sind die verfügbaren Sicherungsstrategien. Sie umfassen vor allem familiäre Sicherungsnetzwerke, die Investition in die Bildung der Kinder, in Land, in Immobilien oder Unternehmen sowie Kranken- und Sozialversicherungen. Die für die Sicherung höchst wichtigen Netzwerke bieten potenzielle Unterstützung, zugleich können aus der Mitgliedschaft auch erhebliche Anforderungen resultieren. Das Zusammenspiel der Sicherungselemente erlaubt es einem Teil der Mittelschicht, die wirtschaftliche Position dauerhaft zu stabilisieren und sich sozioökonomisch vom Rest der Mittelschicht abzusetzen. Dieser empirisch vorfindbare Abgrenzungsprozess hat bisher noch nicht zu einer sozialen Abgrenzung geführt oder eine Gruppenbildung bewirkt. Die Schließung liegt vielmehr quer zur soziokulturellen Milieudifferenzierung. Der Blick in den Globalen Süden zeigt uns, dass wir das soziologische Instrumentarium zu Sozialstrukturanalyse weiterentwickeln müssen, insbesondere wenn wir die spezifischen Dynamiken unterschiedlicher Gesellschaften erfassen wollen.

Autor/innen-Biografie

  • Dieter Neubert, Universität Bayreuth
    Lehrstuhl Entwicklungssoziologie

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Veröffentlicht

2017-08-04

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Mittelschichten im globalen Süden und im globalen Norden