Theoretische Ansätze zur Erklärung der selbst wahrgenommenen Gefährdung der zukünftigen Erwerbsteilhabe
Schlagwörter:
Prekarität, Wahrnehmung, SOEPAbstract
Subjektiv wahrgenommene Erwerbsprekarität bezieht sich auf die Gefährdung der individuellen Teilhabe am Erwerbsleben und Wohlstand einer Gesellschaft. Internationale Forschungsergebnisse zeigen erstens, dass die subjektive Wahrnehmung von Beschäftigungs- und Einkommensprekarität in vielen westlichen Industrieländern seit den 1990er Jahren zunimmt und Bevölkerungsgruppen davon in unterschiedlichem Maße betroffen sind. Zweitens belegen zahlreiche Studien die negativen Auswirkungen von selbst wahrgenommener Erwerbsprekarität auf die Gesundheit, partnerschaftliche Beziehungen und Beziehungen am Arbeitsplatz. Allerdings fehlt bislang eine theoriegeleitete Erklärung der sozialen Beeinflussung von subjektiven Prekaritätswahrnehmungen, die erläutert, warum sich Personen als mehr oder weniger prekär wahrnehmen.
Ziel des Beitrags ist daher erstens, ein soziales Erklärungsmodell subjektiver Prekaritätswahrnehmungen vorzustellen. Dieses wird zweitens mittels generalisierter ordinaler Panelregressionen mit den Daten des Sozio-ökonomischen Panels getestet. Das theoretische Erklärungsmodell kombiniert Lindenbergs Theorie sozialer Produktionsfunktionen mit Bourdieus Feld- und Habitustheorie, um hierüber zu einer sozialen Erklärung der Prekaritätswahrnehmung zu gelangen. Das resultierende PFH-Modell setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen: Produktions- (P), Feld- (F) und Habitustheorie (H). Dabei wird der produktionstheoretische Ansatz im Modell feldtheoretisch kontextualisiert und habitustheoretisch dynamisiert.
Der produktionstheoretische Part erklärt die Wahrnehmung von Erwerbsprekarität mit den ungleich verteilten Ressourcen zur Produktion oder Substitution von Erwerbsarbeit. So wird erstens angenommen, dass die Prekaritätswahrnehmung steigt, wenn die verfügbaren Ressourcen zur Produktion von Erwerbsarbeit (Bildungszertifikate, berufliche Stellung, Art der Arbeitsverträge) die Wahrscheinlichkeit von Erwerbsverlusten erhöhen. Zweitens wird davon ausgegangen, dass die Prekaritätswahrnehmung steigt, wenn im Haushalt oder der Herkunftsfamilie weniger Ressourcen zur Substitution von Erwerbsarbeit vorhanden sind, wodurch die Bedeutung potentieller Verluste steigt. Der feldtheoretische Part erklärt die Wahrnehmung von Erwerbsprekarität mit den variablen Kontextbedingungen zur Produktion bzw. Substitution von Erwerbsarbeit. Es wird prognostiziert, dass eine sinkende Nachfrage am regionalen Arbeitsmarkt das antizipierte Jobverlustrisiko und damit die Prekaritätswahrnehmung erhöht. Darüber hinaus wird angenommen, dass die zunehmende Re-Kommodifizierung der Erwerbsarbeit die Bedeutung von Erwerbsverlusten und damit die Prekaritätswahrnehmung steigert. Der habitustheoretische Part erklärt die Wahrnehmung von Erwerbsprekarität schließlich mit früheren Erfahrungen bei der Produktion bzw. Substitution von Erwerbsarbeit. Zum einen wird angenommen, dass Erwerbstätige eine höhere Prekarität wahrnehmen, wenn sie in der Vergangenheit bereits fremdbestimmte Erwerbsverluste erlebt haben. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass die Prekaritätswahrnehmung steigt, wenn bisherige Substitutionserfahrungen von Knappheit gekennzeichnet waren. Die Hypothesen werden sowohl für West- als auch für Ostdeutschland bestätigt.
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