Das präemptive Zeitregime der Sorge um Kinder

Autor/innen

  • Michael Wutzler Universität Siegen

Schlagworte:

Kindeswohl, Zeitregime, Sorge, Kontrolle, Prävention

Abstract

Das Kindsein wird durch eine besondere Verwundbarkeit gekennzeichnet. Zugleich beschreibt die Lebensphase der Kindheit einen Raum von Entwicklungspotenzialen. Dieses Entwicklungsparadigma basiert auf der Transformation gesellschaftlicher Zeitstrukturen zu einer possibilistischen Zukunftskonzeption. Die Abhängigkeit von Kindern wird hinsichtlich der zugeschriebenen Aspekte der Verwundbarkeit und Entwicklungsfähigkeit festgehalten. Die Bedingungen der Sorge um Kinder erwachsen dabei aus der historisch situierten Problematisierung des Kindeswohls.

In den vergangenen Jahrzehnten kam es zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Ordnung der Sorge um Kinder. An die Stelle geschlossener Standards (u. a. heteronormative Kleinfamilie), hinsichtlich derer die Sorge gegenwartsbezogen und defizitorientiert abgeglichen wird, tritt ein offenes Gefährdungspotenzial, hinsichtlich welchem die Sorge zukunftsbezogen flexibel organisiert wird. Mit diesem Wandel des Wissensregimes um das Kindeswohl geht ein Wandel des Verhältnisses und der Grenzziehungen sorgender Institutionen einher. Prävention ist dabei ein elementarer Aspekt der Transformation der Ordnung der Sorge von disziplinierenden zu vorwiegend kooperativen Techniken.

Präventives Vorgehen basiert darauf, dass Gefährdungen frühzeitig begegnet wird. Die kooperative und präventive Sorge ist ein dauerhaftes Arrangement. Prävention fordert die Eigenverantwortung aller engagierten Sorgenden kooperativ ein. Dabei ist Prävention nicht nur schadenvermeidend, sondern zugleich entwicklungsfördernd. Versteht man Prävention einseitig als repressive Intervention, verkürzt dies den Charakter präventiven Handelns. Mittels Prävention sollen nicht nur Gefahren für Kinder abgewehrt, sondern generativ zugleich Ressourcen freigelegt und Entwicklungspotenziale verwirklicht werden. Derart wird ein neues Zeitregime des Sorgens deutlich, dass zu einer präemptiven Zeitkonzeption übergeht, „die auf eine Art von antizipatorischer Deduktion der Zukunft, die in der Gegenwart wirksam ist, verweist" (Avanessian und Malik 2016).

Im Beitrag werden die wesentlichen Facetten des Imperativs kooperativer Sorge rekonstruiert, die zentrale Stellung, die präventive Strategien dabei einnehmen, aufgezeigt und die wirklichkeitsverändernden Effekte des damit einhergehenden präemptiven Zeitregimes der Sorge um Kinder diskutiert.

 

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Veröffentlicht

2021-06-07

Ausgabe

Rubrik

Sektion Soziale Probleme und soziale Kontrolle: Die Logik des Verdachts II. Prävention als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit