Sozialer Wandel, soziale Identität und populistische Einstellungen
Schlagworte:
Populismus, Soziale Identität, Sozialstruktur, Relative DeprivationAbstract
Nach der Theorie der sozialen Identität (Tajfel 2010) sind zwei hauptsächliche Mechanismen auszumachen, mittels derer der aktuelle soziale Wandel soziale Identitäten bedrohen können. Zum einen vermehren sich durch Prozesse wie Individualisierung, Pluralisierung der Lebensformen oder kultureller Diversifizierung die Optionen sozialer Kategorisierung, was zu einer Art „kognitivem Overload“ und damit zu Verunsicherung führen kann (Hermans, Dimaggio 2007). Zum anderen erfahren zahlreiche soziale Kategorien eine deutliche Umwertung: Beispielsweise werden neue Familienformen aufgewertet, traditionelle Lebensweisen und Geschlechterrollen abgewertet. Verunsicherung und sinkende soziale Anerkennung (insbesondere auch die Abwertung als vormals superior erachteter Kategorien) wecken aber für weite Teile der Bevölkerung das Bedürfnis nach Vereinfachung und Wiederherstellung alter Anerkennungsordnungen (Fukuyama 2019), was „populistischen“ Politikstilen entgegenkommt. Obwohl sich diese These zunehmender Beliebtheit erfreut, stehen empirische Belege der Auswirkungen der Bedrohung sozialer Identitäten weitgehend aus.
Die aktuelle Studie will dieses empirische Defizit vermindern. Basierend auf einer deutschlandweiten Online-Studie (n=1003, geschichtet nach alten/neuen Bundesländern) untersucht sie die Effekte von Identitätsverunsicherung und Anerkennungsdefiziten hinsichtlich vierer bedeutsamer sozialer Kategorien auf unterschiedliche Dimensionen populistischer Einstellungen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die bislang übliche Gegenüberstellung einer eher ökonomisch ausgerichteten „Modernisierungsverliererthese“ (Bisbee et al. 2019) und eine kulturalistisch ausgerichteten „Backlash-These“ (Inglehart, Norris 2017) zur Erklärung populistischer Einstellungen eher Scheingegensätze beschreiben. Zentral für die Ausbildung populistischer Einstellungen sind Identitätsbedrohungen. Diese resultieren aus Verlusten sozialer Anerkennung, die sich sowohl aus reinen Wertkonflikten ergeben können (z.B. Abwertung traditionaler Lebensformen), als auch aus ökonomisch fundierten Konflikten (Abwertung gering qualifizierter Arbeit etc.).
Die Theorie sozialer Identität legt damit einen bedeutsamen psychologischen Mechanismus offen, der erklärt, wie und unter welchen Umständen Prozesse sozialen Wandels sich in populistischen politischen Einstellungen niederschlagen.
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