Wer gehörte zur „Allianz der Schmuddelkinder“?
Ein- und Ausschlüsse von Migrant*innen in HIV-Organisationen
Schlagworte:
Migration, Diversität, Zivilgesellschaftliche Organisationen, HIV/Aids, organisationaler Wandel, Aidshilfe, OrganisationssoziologieAbstract
Die Kernfragen dieses Beitrags lauten: Wie wurden Migrant*innen Teil von Aidshilfe-Organisationen, welche Inklusions- und Exklusionsprozesse können in diesem Kontext identifiziert werden und wie vollzog sich dabei die spezifische Organisationsgeschichte und -identität? Die Deutsche Aidshilfe e.V. vereint seit ihrer Gründung 1983 verschiedene, von HIV und Aids besonders betroffene Gruppen: zunächst hauptsächlich schwule und bisexuelle Männer, bald auch Drogengebrauchende und Sexarbeiter*innen. Dieses Bündnis wurde in der Organisation selbstironisch und selbstbewusst auch als „Allianz der Schmuddelkinder“ bezeichnet - im Sinne einer Aneignungsstrategie und politischen Solidarisierung unterschiedlich mehrfach-stigmatisierter Gruppen. Anhand dieser Selbstbezeichnung wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Migrant*innen Teil dieses Bündnisses waren bzw. wurden.
Im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts „Zivilgesellschaftliche Organisationen und die Herausforderungen von Migration und Diversität: Agents of change“ (ZOMiDi; 2018-2021) wurde im Teilprojekt Gesundheit/HIV eine Organisationsstudie in der Deutschen Aidshilfe e.V. (DAH) mithilfe qualitativer Datenerhebungsverfahren durchgeführt. Die Analyse zeigt eine dynamische Geschichte der Ein- und Ausschlüsse von Migrant*innen. Insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren, in denen der Begriff der „Allianz der Schmuddelkinder“ geprägt wurde, lassen sich gegenläufige und teils widersprüchliche Entwicklungen feststellen. Seit den 2000er Jahren fand eine umkämpfte, aber kontinuierliche Entwicklung hin zu mehr Inklusion statt. Hieran anschließend wird diskutiert, welche Bedingungen die Veränderungen und Öffnungsprozesse ermöglicht haben.
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