Negativer Humanismus – ein Versuch
Abstract
Die von Peter L. Berger und Thomas Luckmann begründete Neue Wissenssoziologie versteht sich als humanistische Soziologie. Scheinbar paradox gerieren sich Berger und Luckmann aber auch als Anti-Soziologen, als deren Vaterfigur wiederum Max Weber anzusehen ist. Für die Soziologie als Realwissenschaft lässt Weber nur Formen der Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung gelten – Formen wertebezogenen Handelns von Menschen, motiviert durch subjektiv gemeinten Sinn. Eine humanistische, auf das als typisch menschlich betrachtete, Sinn und Sein vermittelnde, Handeln gegründete Soziologie opponiert der Ansicht von der Gesellschaft als Sein sui generis und ist insofern eine Anti-Soziologie.
Als Gegenpart zur handlungstheoretisch fundierten humanistischen Soziologie figuriert die soziologische Systemtheorie von Herbert Spencer, Émile Durkheim, Talcott Parsons und Niklas Luhmann, und ebenso der Strukturalismus eines Claude Lévi-Strauss. Sie alle setzen nicht den Menschen, sondern die Gesellschaft als ens realissimum und werden daher immer wieder des Antihumanismus bezichtigt. Der negative Humanismus korreliert aber nicht nur mit einem Soziologismus, sondern betreibt auch eine Dezentrierung des Menschen.
Gemeinsam ist beiden Positionen eine relationistische Definition des menschlichen Wesens, wie sie systematisch Helmuth Plessners Anthropologie der Exzentrizität entwickelt hat. Ausgehend von Plessners Begriff der Exzentrizität soll daher im Folgenden der Versuch unternommen werden, den normativen und politisch aufgeladenen Gegensatz von Humanismus und Antihumanismus durch die Unterscheidung eines positiven und negativen Humanismus zu ersetzten.
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