Generationales Ordnen zwischen being und becoming

Überlegungen zu Subjekt- und Ordnungsbildungen sowie ihren RegierungsSpielRäumen am Beispiel der Positionierung von Kindergarten-Kindern

Autor/innen

  • Dominik Farrenberg Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen

Schlagworte:

agency, Ethnographie, Generationale Ordnung, Kindheit, Kindheitsforschung, Pädagogik, Praxeologie, Regierung, Subjekt- und Ordnungsbildungen

Abstract

Das epistemische Different-Setzen von Kindern und Erwachsenen wird aus der Perspektive der neuen Kindheitsforschung  vorwiegend kritisch begleitet (vgl. Alanen 2009). Der Vorwurf, dass Kinder zuvorderst als Werdende (becomings) adressiert und positioniert werden, wohingegen ihr gegenwärtiger Zustand (being) sowie ferner die Möglichkeit einer darin eingelassenen Handlungsmacht (agency) negiert werden (vgl. Lee 2001, S. 7), kann – praxeologisch-regierungstheoretisch perspektiviert – als Effekt generationaler Subjekt- und Ordnungsbildungen interpretiert werden (vgl. Farrenberg 2018): Regierungstheoretisch perspektiviert schreibt sich das generationale Verortet-Sein des Gegenübers subjektivierend und objektivierend in die Akteure ein (vgl. Foucault 2008, S. 1016; Foucault 1994), die daraufhin als Kinder oder Erwachsene rationalisierbar werden. Praxeologisch perspektiviert gerät die Unterscheidung von being und becoming als eine fortlaufende subjekt- und ordnungsbildende Praxis des Unterscheidens in den Blick (vgl. Reckwitz 2003, S. 289 ff.). Ein derart perspektiviertes „generationales Ordnen“ (vgl. Bühler-Niederberger 2020, S. 232) eröffnet ebenso einen binnendifferenzierten Blick auf z. B. pädagogisch-institutionelle oder peerkulturelle generationale Ordnungsbildungen, wie auch eine Amalgamierung mit weiteren sozialen Ordnungsbildungen sichtbar gemacht werden kann. Exemplarisch zeigt die Studie „RegierungsSpielRäume. Ethnographie über Praktiken der Herstellung des Kindergartenkindes“ (Farrenberg 2018) auf, wie im Zusammenspiel unterschiedlicher (generationaler) Subjekt- und Ordnungsbildungen, wiederkehrende, voneinander unterscheidbare epistemische Muster hervorgebracht werden und schließlich – überdeterminiert und polysem – die Positionierung als Kindergartenkind konstituieren. Diese empirisch generierte Erkenntnis vermag die Kindheitsforschung methodologisch wie gegenstandstheoretisch produktiv anzuregen, indem sich darin die Unmöglichkeit eindeutiger und vollständig geschlossener Subjekt- und Ordnungsbildungen andeutet (vgl. Laclau und Mouffe 2012). Sie macht damit ebenso aufmerksam auf einen Überschuss an Ordnung(-sbildungen) wie auf deren Brüchigkeit bzw. auf den Spalt eines „Dazwischen“; sprich auf RegierungsSpielRäume, die eine dynamische und relational situierte agency jenseits des generationalen Ordnens zwischen being und becoming andeuten.

Literaturhinweise

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Veröffentlicht

29.09.2023

Ausgabe

Rubrik

Sektion Soziologie der Kindheit: Being und Becoming revisited? Sozialisation, Subjektivierung und Werden in der Kindheitsforschung