Grüne Kritik, emphatischer Protest, moderne Organisation
Spannungsreiche organisationale Einhegung jugendlicher Klimaprotestbewegungen am empirischen Fall universitärer Green Offices
Schlagworte:
Organisation, Organisation Hochschule, Soziale Bewegungen, Politischer Protest, Soziologie der Kritik, Grüne Kritik, Fridays for Future, Moderne, Nachhaltigkeitstransition, sozial-ökologische TransformationAbstract
Der emphatische Protest der Fridays-for-Future-Bewegung ist angesichts seiner medialen Verbreitung, politischen Responsivität und affektiven Wirksamkeit insbesondere im Bildungsbürgertum so bemerkenswert, dass Versuche der Vereinnahmung – ungeachtet der ausgeprägten Abgrenzungsstrategien der Bewegung – nicht ausblieben (Rucht 2019; Grupp et al. 2020). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es sich bei – explizit mit studentischem Personal und dem oft deutlichen Verweis auf einen studentischen Gründungsimpuls ausgestatteten – sog. universitären Green Offices um das von organisationalen Realprozessen weitestgehend entkoppelte Aufgreifen eines gesellschaftlichen Imperativs (Perrow 1970) oder gar um organisationale Hypokrisie handelt (Brunsson 1989). Der vorliegende Beitrag stellt die These auf, dass Organisationen aufgrund ihrer spezifisch modernen Beschaffenheit ökologische Kritik durchaus ernsthaft aufgreifen und in Bearbeitungsprozesse übertragen können, dass dies jedoch für das In-Praxis-Bringen ökologisch-sozialer Werteorientierungen, vor allem wenn sie einem modernistischen Weltzugang widersprechen (Adloff und Neckel 2019), nicht unbedingt herausforderungsärmer ist. Im Beitrag wird zunächst (1) das moderne Praxisarrangement Organisation, insbesondere dessen praxisspezifizierendes, kompromisserzeugendes, formalisierendes und konventionalisierendes Potenzial betrachtet. Sodann wird (2) grüne Kritik (Chiapello 2013) und die hieran in Teilen anschließende Protestbewegungen Fridays for Future als Perspektive vorgestellt, die sich bisweilen in Opposition zu moderne-kulturellen Grundannahmen begibt. Schließlich wird (3) mit Rekurs auf eine empirische Fallstudie zu universitären Green Offices das Problem einer modernistischen Einhegung implizit moderne- bzw. modernisierungskritischer Positionen verdeutlicht.
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