Editorial
Abstract
Stellen Sie sich vor,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der ZEIT, hat mir geschrieben! War das eine Freude. »Ihre Teilnahmeunterlagen zur großen ZEIT-Studie ››Familie 2008« und: »Bitte sofort öffnen!« stand auf dem Briefumschlag. Hab ich natürlich gleich gemacht. Drin war ein netter Brief, »wir alle wissen, dass es vielen Paaren in Deutschland heute schwerfällt, sich für ein Kind zu entscheiden. Aber woran liegt das eigentlich?«. Die »große ZEIT-Studie« wolle dieser Sache einmal auf den Grund gehen, meine Meinung sei ihnen wichtig, und »alle Fragebögen werden natürlich absolut vertraulich behandelt und anonym ausgewertet. … Vielen Dank im Voraus!« Beigelegt war ein Fragebogen, in dem man allerdings merkwürdiger Weise Namen und Adresse angeben sollte. Außerdem war der Fragebogen doch sehr schlicht gestrickt; um nicht zu sagen: saudumm. Neun Fragen, mit denen irgendwelche Meinungen erhoben wurden. Eine einzige Frage (»Haben Sie eigene Kinder, oder wünschen Sie sich in Zukunft Kinder?«), die man zu den anderen irgendwie sinnvoll in Relation setzen könnte. Sonst nichts, woran sich irgendwelche Kausalitätsvermutungen testen ließen, nichts, womit man diese Meinungen wenigstens hätte korrelieren können, Alter, Beruf, Einkommen oder so etwas. Eine Frage war:
Was erachten Sie in Ihrem Leben für besonders erstrebenswert? - Ein intaktes Familienleben
- Meine persönliche Entfaltungsfreiheit
- Beruflichen Erfolg
- Körperliche Fitness
Völlig klar, dass diese Frage bei einer »großen ZEIT-Studie ›Familie 2008‹« nicht fehlen darf. Aber was soll man da …? Zum Glück waren Mehrfachnennungen möglich.
Das alles wirkte also nicht sonderlich überzeugend, dafür aber winkte »das große Dankeschön-Paket für alle Teilnehmer« und die Verlosung einer Reise nach Peru.
Ach ja, ich habe bisher nicht erwähnt, dass der Brief des Chefredakteurs der ZEIT nicht ganz persönlich an mich gerichtet war. Er lag der Süddeutschen Zeitung bei.
Zwar hat die Aktion samt Fragebogen ein erhebliches Komikpotential, aber eigentlich ist das alles überhaupt nicht lustig. Für wie blöd hält die PR- Abteilung der ZEIT eigentlich die Leserinnen und Leser der Süddeutschen? Und wie weit über Halshöhe muss dem Chefredakteur das Wasser stehen, damit er bei so einem Schmarrn mitmacht? Das ist der private Aufreger.
Der professionspolitische Skandal besteht darin, dass hier ein klassisches Instrument der empirischen Sozialforschung missbraucht und eine für die Soziologie grundlegende Erhebungstechnik diskreditiert wird. Empirische Sozialforschung ist kein Gesellschaftsspiel. Eine kompetente und methodisch kontrollierte Selbstbeobachtung der Gesellschaft ist ein essentieller Beitrag zu ihrem Funktionieren, ihrer Kritik und ihrer Reform. Das sollte der ZEIT bekannt und ein Anliegen sein. Und da die Soziologie, wie Rainer Lepsius (in der SOZIOLOGIE 3/2003) betont hat, die Methodenkompetenz für die gesamten Sozialwissenschaften verwaltet, hat sie die Pflicht, derlei nicht widerspruchslos hinzunehmen. Man reinigt mit einem Skalpell ja auch nicht den Abfluss, wenn man damit noch operieren will.
Die implizite Perfidie der Aktion besteht darin, dass die Pseudoumfrage auf ein wirklich drängendes Problem zielt. Ob »Deutschland alles in allem ein kinderfreundliches Land« ist, ob sich hier »Kind und Karriere gut miteinander vereinbaren lassen« usw. – das sind durchaus wichtige Fragen, nicht geeignet als Vorwand für Abonnenten-Werbung.
Ob wohl die diversen großen ZEIT-Rankings der Universitäten Deutschlands ähnlich angelegt sind? Anfragen richten Sie bitte direkt an: DIE ZEIT, Studienauswertung »Familie 2008«, 20080 Hamburg.
Ihr
Georg Vobruba