Verschärfung geschlechtlicher Ungleichheiten? Auswirkungen der sozialen Krisen in der EU

Autor/innen

  • Alexandra Susanne Scheele Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), Universität Bielefeld

Schlagworte:

Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Geschlechterungleichheit, Soziale Ungleichheit

Abstract

Die geschlechterkritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Phasen der Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise seit 2008 hat gezeigt, dass diese in mehrfacher Hinsicht mit problematischen Folgen verbunden war bzw. ist: Auf der politischen Ebene wurde einmal mehr die Dominanz des produzierenden Sektors bestätigt, da die meisten Länder auf die realen und befürchteten Einbrüche in diesem Wirtschaftsbereich sofort mit  Konjunkturpaketen und gesetzliche Regelungen  reagierten, während lang anhaltende Krisenerscheinungen im Dienstleistungsbereich, insbesondere in den sozialen Dienstleistungen nur wenig politische Aufmerksamkeit erhielten und noch immer erhalten (1. Krisenwelle). Dies macht sich auch daran bemerkbar, dass die nachfolgenden Konsolidierungsmaßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte vorrangig auf Einsparungen bei den Sozialleistungen, Rentenzahlungen und im öffentlichen Sektor zielten (2. Krisenwelle).  Auf dem Arbeitsmarkt hat das – z.B. in Griechenland oder Spanien – nicht nur zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit, sondern auch von unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung geführt. Die Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt wird verstärkt durch Leistungskürzungen im Falle von Arbeitslosigkeit, sowie Einschnitten bei familienpolitischen Leistungen wie Mutterschutz- oder Elterngeldzahlungen. Diese Entwicklungen haben in Europa – wie auch der EU-Sozialbericht 2013 zeigt – zu einer doppelten sozialen Krise geführt. Nicht nur findet eine Verschärfung der sozialen Lage in vielen europäischen Ländern statt, sondern wird auch die Kluft zwischen den einzelnen EU-Staaten größer – Staaten mit hoher Wirtschaftskraft und relativ niedrigen Arbeitslosenzahlen stehen solche mit schwacher Konjunktur und hohen Erwerbslosenzahlen gegenüber. Die sozialen Krisen in den einzelnen Mitgliedstaaten haben darüber hinaus bereits deutliche geschlechterpolitische Implikationen: Frauen haben nicht nur im EU-Schnitt niedrigere Einkommen, eine höhere Armutsgefährdung und mittlerweile auch (wieder) ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden, sondern es sind Anzeichen festzustellen, dass sich ihre soziale und ökonomische Lage weiter verschlechtert: So führt der Stellenabbau im öffentlichen Bereich (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen, Beratungseinrichtungen) dazu, dass nicht nur die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen sondern auch die Aussichten für eine gleichberechtigte Arbeitsmarktteilhabe von Müttern eingeschränkt werden. Die Einschnitte bei den Versorgungsleistungen (z.B. Renten-, Arbeitslosenversicherung oder Gesundheitsleistungen) führen zu einer (Re-)Familiarisierung sozialer und gesundheitlicher Risiken sowie zu einer Verlagerung ehemals staatlicher  Aufgaben in den privaten Bereich, wo sie häufig von Frauen unentgeltlich übernommen werden. Schließlich findet auf der politischen Ebene teilweise eine Abkehr von gleichstellungspolitischen Zielen statt, indem – z.B. in Spanien – Gleichstellungsinstitutionen abgebaut werden. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Beitrag  mit den sozialen Folgen der ökonomischen Krise auseinander und fragt, inwieweit diese zu einer Verschärfung geschlechtlicher Ungleichheiten führen. Es wird auf der Basis empirischer Befunde des Sachverständigennetzwerk ENEGE (European Network of Experts on Gender Equality) analysiert, ob sich im Rahmen der Konsolidierungspolitiken übergreifende Muster zwischen einzelnen EU-Staaten zeigen lassen.

Autor/innen-Biografie

Alexandra Susanne Scheele, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU), Universität Bielefeld

Akademische Mitarbeiterin

Literaturhinweise

Annesley, C., Scheele, A. 2011: Gender Capitalism and Economic Crisis: Impact and Responses across Europe. Journal of Contemporary European Studies, 19. Jg., Heft 3, 335‒347

Appelt, E. 2014: Sorgearbeit und soziale Ungleichheit im Wohlfahrtsstaat. In B. Aulenbacher, M. Dammayr (Hg.), Für sich und andere sorgen. Krise und Zukunft von Care. Weinheim: Beltz Juventa, 103‒115.

Auth, D. 2012: Auswirkungen der (Finanz- und Wirtschafts-)Krise auf den Wohlfahrtsstaat. In I. Kurz-Scherf, A. Scheele (Hg.), Macht oder ökonomisches Gesetz? Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht. Münster: Westfälisches Dampfboot, 141‒162.

Bettio, F., Corsi, M., D’Ippoliti, C., Lyberaki, A., Samek, L., Verashchagina, A. 2012: The Impact of the Economic Crisis on the Situation of Women and Men and on Gender Equality Policies. Synthesis Report for the Euro-pean Commission, Directorate-General for Justice; Unit D2, November 2012, http://ec.europa.eu/ jus-tice/gender-equality/files/documents/130410_crisis_report_en.pdf (letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Bieling, H.-J. 2012: Transnationale (Krisen-)Dynamiken des Finanzmarktkapitalismus. Klassenverhältnisse, Gender und Ethnizität aus politökonomischer Perspektive. Berliner Journal für Soziologie, 22 Jg., Heft 22, 53‒77.

Busch, K., Hermann, C., Hinrichst, K., Schulten, T. 2012: Eurokrise, Austeritätspolitik und das Europäische So-zialmodell. Wie die Krisenpolitik in Südeuropa die soziale Dimension der EU bedroht. Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung November 2012, http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09444.pdf (letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Dauderstädt, M., Keltek, C. 2012: Eurokrise. Die Ungleichheit wächst wieder in Europa. WISO direkt, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/09283.pdf (letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Dauderstädt, M., Keltek, C. 2015: Das soziale Europa in der Krise. WISO direkt, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/11342.pdf (letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Demirović, A., Maihofer, A. 2013: Vielfachkrise und die Krise der Geschlechterverhältnisse. In A. Heilmann, H. M. Nickel (Hg.), Krise, Kritik, Allianzen. Arbeits- und geschlechtersoziologische Perspektiven. Weinheim: Beltz Juventa, 30‒48.

Eurofound 2013: Foundation Focus‒ Quality of Life, public services and the crisis. In Foundation Focus, Issue 13, September 2013, http://www.eurofound.europa.eu/sites/default/files/ef_publication/field_ef_ document/ef1342en.pdf (letzter Aufruf 19. November 2015).

Eurostat 2014: Labour Force Survey, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/ La-bour_market_and_Labour_ force_survey_%28LFS%29_statistics (letzter Aufruf 30. Juni 2015).

Gonzalez Gago, E., Kirzner, Segales M. 2014: Spanish Report: Recent developments and current priorities in the field of gender equality: mapping and evaluating national strategies. ENEGE Thematic Report (unveröffent-licht).

Horak, G. 2013: Die Verzweiflung der Griechinnen. An.schläge. April 2013.

ILO, 2012: Global Employment Trends for Youth 2012, http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/documents/publication/wcms_180976.pdf (letzter Aufruf 30. Juni 2015).

Karamessini, M. 2012: Strukturkrise, Schocktherapie und Gender in Griechenland. In I. Kurz-Scherf, A. Scheele (Hg.), Macht oder ökonomisches Gesetz? Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht. Münster: Westfälisches Dampfboot, 187‒205.

Kurz-Scherf, I., Scheele, A. 2013: Macht oder ökonomisches Gesetz? Einleitung. In I. Kurz-Scherf, A. Scheele (Hg.): Macht oder ökonomisches Gesetz? Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht, 2. Aufl., Münster: Westfälisches Dampfboot, 7‒19.

Leitner, S. 2013: Varianten von Familialismus. Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten. Berlin: Duncker & Humblot.

Lepperhoff, J., Scheele, A. 2014: Zwischen Finanzmarkt und Fürsorge. Feministische Perspektiven auf Arbeit und Ökonomie. In B. Rendtorff, B. Riegraf, C. Mahs (Hg.), 40 Jahre Feministische Debatten. Resümee und Aus-blick. Weinheim: Beltz Juventa, 118‒133.

Lepsius, M. R. 2013: In welchen Krisen befindet sich die Europäische Union? Zeitschrift für Politik, 60. Jg., Heft 2, 182‒193.

Maier, F. 2015: Europäische Politiken zur Gleichstellung – nur noch schöne Worte? WSI-Mitteilungen, 68. Jg., Heft 1, 5‒12.

Michalitsch, G. 2013: Arbeit und Geschlecht: Macht- und Wahrheitseffekte der Krise. In I. Kurz-Scherf, A. Scheele (Hg.), Macht oder ökonomisches Gesetz? Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht, 2. Aufl., Münster: Westfälisches Dampfboot, 125‒140.

OECD 2011: Divided we stand. Why Inequality keeps rising, http://www.oecd.org/berlin/publikationen/ divid-edwestand-whyinequalitykeepsrising.htm (Letzter Aufruf 30. Juni 2015)
OECD 2015: In it together: Why less inequality benefits all. http://www.oecd-ilibrary.org/employment/in-it-together-why-less-inequality-benefits-all_9789264235120-en (Letzter Aufruf 30. Juni 2015).

Picchi, S., Simonazzi, A. 2014: The Mediterranean Care Model in Times of Austerity. The Case of Italy and Spain. In B. Aulenbacher, B. Riegraf, H. Theobald (Hg.), Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime. Soziale Welt. Sonder-band 20. Baden-Baden: Nomos, 379-396.

Scheele, A. 2013: Geschlechterdemokratie: Kein Thema in der politischen Krisenbewältigung? In H. M. Nickel, A. Heilmann (Hg.), Krise, Kritik, Allianzen. Arbeits- und geschlechtersoziologische Perspektiven. Weinheim: Beltz Juventa, 86‒100.

Scheele, A. 2009: Hat die Wirtschaftskrise ein Geschlecht? Blätter für deutsche und internationale Politik, 54. Jg., Heft 3, 26‒28.

Schmillen, A., Umkehrer, M. 2014: Verfestigung von früher Arbeitslosigkeit: Einmal arbeitslos, immer wieder arbeitslos? IAB-Kurzbericht 16/2014. Nürnberg, http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb1614.pdf (Letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Smith, M., Villa, P. 2015: EU-Strategien zur Geschlechter- und Lohngleichstellung und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. WSI-Mitteilungen, 68. Jg., Heft 1, 13‒24.

Weber, C., 2014: Job weg, Ansehen weg, Hoffnung weg. SZ.de 17. Juni 2014, http://www.sueddeutsche.de/ wissen/anstieg-der-suizidzahlen-job-weg-ansehen-weg-hoffnung-weg-1.1994847 (letzter Aufruf 24. Juni 2015).

Wichterich, C. 2010: Geschlechteranalysen und –diskurse in der Krise. Peripherie, 30. Jg., Heft 118/119, 164‒187.

Downloads

Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Sektion Frauen- und Geschlechterforschung: Krise der Reproduktion – Reproduktion in der Krise