Die Krise des Sinns in der Arbeit? „Sinnvolle Arbeit“ als Gegenstand soziologischer Krisendiskurse

Autor/innen

  • Mascha Christina Will-Zocholl Goethe-Universität Frankfurt am Main
  • Friedericke Hardering Goethe-Universität Frankfurt am Main

Schlagworte:

Ende der Arbeit, Prekarität, Entfremdung, sinnvolle Arbeit, Sinn in der Arbeit

Abstract

Fragen danach, was eine sinnvolle Arbeit ausmacht, waren in der Vergangenheit in der Arbeitssoziologie bereits Gegenstand kontroverser Diskussionen. Vielmehr sind es die verschiedenen Krisen der Arbeitswelt, die die Aufmerksamkeit innerhalb der Arbeitssoziologie steuern: Von der Arbeitslosigkeit über die Zunahme atypischer und prekärer Beschäftigungsformen bis hin zu veränderten Steuerungsmechanismen der Arbeitsorganisation, die mit einer Steigerung von Überforderung und Erschöpfung assoziiert sind, ist die Krisenhaftigkeit der Arbeit allgegenwärtiger Bezugspunkt. Fragen nach dem guten Leben scheinen vor dem Hintergrund von fundamentalen Problemlagen und Ungerechtigkeiten dagegen sekundär. Allerdings ist zu vermuten, dass die Diskurse Vorstellungen sinnvoller Arbeit implizit zum Bezugspunkt machen. Daher werden wir im Folgenden prüfen, inwieweit in verschiedenen soziologischen Diskursen die Sinnhaftigkeit der Arbeit thematisch wird. Fragen danach, was eine sinnvolle Arbeit ausmacht, waren in der Vergangenheit in der Arbeitssoziologie bereits Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die Zentralität der Arbeit bzw. der Sinn der Arbeit wird besonders in der Diskussion über das Ende der Arbeitsgesellschaft verhandelt, in dem Chancen wie auch Risiken der Aufwertung außerarbeitsweltlicher Bereiche abgewogen werden. Die auch gegenwärtig wieder aktuelle Frage, welche Rolle Arbeit im Leben einnehmen soll und wie man zu einem weiteren Arbeitsverständnis gelangen kann, welches vielfältigere Perspektiven auf ein gutes Leben eröffnet, wurde damals facettenreich durchdekliniert. In der Prekarisierungsdiskussion wird mit der Normalbiographie die Frage einer sinnvollen Lebensgestaltung angesprochen, die sich zwar auch auf die Wichtigkeit von Arbeit im Leben bezieht, aber noch darüber hinaus grundlegende Themen des guten Leben anspricht. Gerade durch die der Normalbiographie inhärente Entwicklungsperspektive, die in Richtung Entfaltung und Selbstverwirklichung orientiert ist, finden sich zugleich konkret ausbuchstabierte Vorstellungen einer guten Lebensgestaltung. Die arbeitsinhaltliche Perspektive, der Sinn in der Arbeit, wird in der Debatte um die Prekarisierung der Arbeit zwar aufgegriffen, bildet allerdings keinen genuinen Aufmerksamkeitsschwerpunkt. Dagegen ist die jüngere Entfremdungsdiskussion unmittelbar auf die Erfahrung der Arbeit selbst und die Bemühungen um eine gelingende Aneignung von Arbeit ausgerichtet.

Autor/innen-Biografien

Mascha Christina Will-Zocholl, Goethe-Universität Frankfurt am Main

PostDoc

Institut für Soziologie

Friedericke Hardering, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Institut für Soziologie

PostDoc

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Veröffentlicht

2015-12-22