Benachteiligung durch soziale Schließung? Netzwerke, soziales Kapital und geschlechtsspezifische Ungleichheit auf einem projektbasierten Arbeitsmarkt
Schlagworte:
Sozialkapital, Netzwerke, Gender, ProjektarbeitsmärkteAbstract
Dass Netzwerke wichtige Erfolgsressourcen insbesondere auf projektbasierten Arbeitsmärkten darstellen, ist in den Sozialwissenschaften ein Thema mit längerer Tradition (vgl. Lutter 2013). Weniger klar dagegen ist die Frage, wie sich verschiedene Formen der sozialen Einbettung auf geschlechtsspezifische Erfolgsungleichheiten auswirken. Bisherige Einzelfalluntersuchungen legen nahe, dass Frauen besonders dann benachteiligt sind, wenn Rekrutierungspraktiken in hohem Maße auf informellen und persönlichen Netzwerken beruhen (vgl. Grugulis und Stoyanova 2012). Quantitative Längsschnittuntersuchungen, die die Auswirkung verschiedener Sozialkapitalformen auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten systematisch im gesamten Karriereverlauf untersuchen, sind allerdings bisher ausgeblieben (Petersen et al. 2000: 772f.).
So fehlt der Nachweis, ob und inwiefern soziale Netzwerkstrukturen tatsächlich einen Einfluss auf ungleiche Erfolgsaussichten nehmen. Diese Lücke soll der Beitrag schließen. Am Beispiel eines projektförmigen und durch informelle Rekrutierung gekennzeichneten „Winner-take-all“-Arbeitsmarktes – der US-Filmbranche – wird argumentiert, dass Frauen besonders dann Benachteiligungen erfahren, wenn sie ihre Karriere häufiger in engmaschigen, stark kohäsiven Teams aufbauen. Dagegen können sie Benachteiligungen deutlich reduzieren, wenn sie sich häufiger in Projektteams bewegen, die sich durch offene Netzwerkstruktur und breitere Erfahrungshintergründe auszeichnen.
Diese Argumentation bestätigt sich empirisch mittels einer Untersuchung des Einflusses von Sozialkapital auf das kritische Ereignis „Karriereende“ bei US-Schauspielern. Auf Basis von Ereignisdatenanalysen und der Untersuchung vollständiger Karriereprofile von 97.657 US-Filmschauspielern in 1,07 Mio. Engagements in 365.124 Filmproduktionen zwischen den Jahren 1929-2010 zeigt der Beitrag anhand diverser Netzwerkindikatoren zur Messung von Sozialkapital, Teamkohäsion, Kollaborationshäufigkeit, Informationszugang und -vielfalt –, dass kohäsive Netze geschlechtsspezifische Karriereungleichheiten verstärken, während offene Netzwerke Benachteiligungen deutlich reduzieren. Vermutlich stellen der in diesen Netzen höhere Informationsfluss und vor allem die Diversität der geteilten Informationen entscheidende Faktoren dar, die imstande sind, geschlechtstypische Benachteiligungen aufzuheben.
Insgesamt untersucht der Beitrag damit, inwiefern unterschiedliche Netzwerkformen bzw. Formen sozialer Einbettung Einfluss auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten nehmen. Er untersucht damit sowohl Prozesse der Herstellung und Reproduktion sozialer Ungleichheit – sowie Prozesse ihrer Veränderung. In den Blick genommen wird dabei die bislang noch wenig systematisch berücksichtigte multiplikative Dynamik sozialer Ungleichheit (Lutter 2012), die – je nach Kontext – Ungleichheiten verstärken oder abschwächen kann.
Literatur
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