Zur Entstehung akademischer Konsekrationsinstanzen: Die Europäisierung des Hochschulraums und das symbolische Kapital des European Research Councils (ERC)

Autor/innen

  • Vincent Gengnagel Universität Bamberg
  • Christian Baier Universität Bamberg
  • Nilgun Massih-Tehrani Universität Bamberg

Schlagworte:

Europäisierung, Transnationalisierung, Wissenschaftsförderung, Bourdieu

Abstract

Die EU spricht von der Schaffung eines „europäischen Hochschulraums“, der sowohl die wissenschaftliche Innovationskraft erhöhen als auch Chancen für 'exzellente Wissenschaft' überall in Europa bieten soll. Sie versteht Forschungspolitik als Wachstums- und Wirtschaftspolitik. Entsprechend ist die Vergabelogik der Fördergelder der Rahmenprogramme (RP) eng an diese politischen Ziele gebunden.

Um von einem eigenständigen europäischen Hochschulraum zu sprechen, der nicht vollständig in den Logiken des ökonomischen und politischen Feldes aufgeht, müsste sich ein europäisches, akademisch relativ autonom legitimiertes Wissenschaftsverständnis herausbilden. Dies lässt sich vereinfacht als Etablierung einer eigenen Förderlogik konzipieren. Zu dieser haben die RP jedoch wenig beigetragen oder sogar über den Fokus auf industrienahe Auftragsforschung zu einer Reduktion akademischer Diversität geführt.

Anfänge einer akademisch eigenständigeren Entwicklung finden sich eher im von uns analysierten ERC: Er weist eine höhere Themenvielfalt auf als die RP, vergibt Grants nach dem Kriterium wissenschaftlicher Exzellenz und fördert u.a. auch wirtschaftsfernere Forschungsvorhaben.

Entsteht nun also eine europäische Konsekrationsinstanz? Unsere Analysen der Zusammensetzung der ERC-Mitglieder bezüglich Karrierestationen, Nationalität und Disziplinenzugehörigkeit verweisen eher auf eine Ausrichtung am angelsächsischen Hochschulraum: Die Beziehung zu einer amerikanischen Eliteuniversität ist für die Besetzung des ERC zentral – die akademische Legitimität des ERC speist sich aus deren symbolischem Kapital. Deutlich erkennbar ist zum einen die enge Beziehung der Council-Mitglieder zur US-zentrischen internationalen Wissenschaft, die mit dem Förderbias zugunsten westeuropäischer, anglophiler Länder korrespondiert. Zum anderen sind die Naturwissenschaften stark vertreten und gut vernetzt – im Vergleich dazu sind Sozial- und Geisteswissenschaften peripher. Diese Mitgliederstruktur spiegelt sich in der Verteilung der Grants auf Disziplinen wider.

Anhand der Rolle des ERC im Hinblick auf Besetzung und Förderlogik kann nachgezeichnet werden, wie die EU gleichzeitig versucht sowohl akademische Akzeptanz in den akademischen Feldern der Mitgliedstaaten zu erlangen als auch einer globalen Wettbewerbslogik zu entsprechen.

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Veröffentlicht

2015-12-23

Ausgabe

Rubrik

Ad-hoc: Die Europäisierung der Gesellschaften Europas: Zwischen nationalstaatlicher und globaler Vergesellschaftung