Konventionen und Wirtschaftskrisen. Zur Wahlverwandtschaft zwischen lokalen Wirtschaftspraktiken und wirtschaftlichen Entwicklungspfaden

Authors

  • Nina Baur Technische Universität Berlin
  • Linda Hering Technische Universität Berlin

Keywords:

Ökonomie der Konventionen, Historische Soziologie, Krise, formative Phasen, Verlaufsmusteranalyse, Wirtschaft, Markt, Friseure, Eigenlogik der Städte, Stadtsoziologie, Mixed Methods, Frankfurt, Dortmund, Birmingham, Glasgow

Abstract

Städte, Regionen und Nationen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Performanz, sondern auch hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Wirtschaftskrisen erfolgreich zu bewältigen bzw. sich über diese hinweg neu zu definieren.

Um zu analysieren, welchen Beitrag Konventionen zur Erklärung dieses lokal unterschiedlichen Krisenbewältigungspotenzial leisten können, haben wir bewusst vier Städte so ausgewählt, dass sie sich hinsichtlich Größe, Dichte, Heterogenität und Strukturbedingungen ähneln, insbesondere einer vergleichbaren historischen Tradition und ähnlichen formativen Phasen samt ähnlichen aktuellen Problemlagen. Alle vier Städte wurden gleichermaßen von der Krise der 1970er getroffen, und die letzten drei Dekaden standen dementsprechend im Zeichen umfassender Bemühungen, die Krise zu bewältigen. Aus der Perspektive der bisherigen Forschung zu räumlichen Differenzen der Wirtschaft sollte es daher keine oder kaum Unterschiede hinsichtlich des wirtschaftlichen Erfolgs der Städte geben oder hinsichtlich ihrer Fähigkeit, mit Umbruchssituation umzugehen – was empirisch aber nicht der Fall ist.

Vielmehr unterscheiden sich die ausgewählten Städte in einer Reihe von Dimensionen hinsichtlich des institutionellen Rahmens und der Strukturbedingungen, die eine systematische Analyse des Zusammenhangs zwischen Konventionen, Institutionen und Krisenbewältigungspotenzial ermöglichen.

Um diesen Zusammenhang näher zu betrachten, triangulierten wir eine Verlaufsmusteranalyse der stadtspezifischen Wirtschaftspfade mit einer Analyse der lokalen Wirtschaftspraktiken auf dem Friseurmarkt, die auf einem Methoden-Mix aus Ethnografie und standardisierter Befragung beruht.

Eine Analyse, welche Konventionen in Umbruchssituationen wie wirken, zeigt auf, dass insgesamt offensichtlich verschiedene Wege der erfolgreichen Krisenbewältigung existieren. Eine Möglichkeit scheint die Unterordnung aller anderen Lebensbereiche unter das Primat der Ökonomie zu sein. Alternative Pfade können die erfolgreiche Gestaltung von informellen Beziehungen und sozialen Netzwerken sowie eine ausgewogene Balance zwischen Individualität und Professionalität der Arbeitenden sein. Wichtig scheinen folglich nicht einzelne Elemente einer Wertordnung zu sein, sondern vielmehr das Gesamtbild, also spezifische Kombinationen ihrer verschiedenen Elemente.

Author Biographies

Nina Baur, Technische Universität Berlin

Professorin für Methoden der empirischen Sozialforschung am Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin

Linda Hering, Technische Universität Berlin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Lokale Konventionen des Friseurwesens: Städtische Eigenlogik in Wirtschaftspraktiken“

References

Bade, F.-J. 1987: Regionale Beschäftigungsentwicklung und produktionsorientierte Dienstleistungen. DIW-Sonderheft 143. BerlIn DIW.

Bathelt, H., Glückler, J. 2002: Wirtschaftsgeographie. Stuttgart: Verlag.

Baur, N. 2005: Verlaufsmusteranalyse. Wiesbaden: VS.

Baur, N. 2008: Konsequenzen des Verlusts des ganzheitlichen Denkens. In O. Struck, H., Seifert (Hg.), Arbeits-markt und Sozialpolitik. Wiesbaden: VS, 189–229.

Baur, N., Löw, M., Hering, L., Raschke, A. L., Stoll F. 2014a: Die Rationalität lokaler Wirtschaftspraktiken im Friseurwesen. In D. Bögenhold (Hg.), Soziologie des Wirtschaftlichen: Alte und neue Fragen. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 299–327.

Baur, N., Hering, L., Löw, M., Raschke, A. L. 2014b: Tradition, Zukunft und Tempo im Friseursalon. In S. Frank, P. Gehring, J. Griem, M. Haus (Hg.), Städte unterscheiden lernen. Frankfurt am Main, New York: Campus, 97–124.

Baur, N., Meier, L. 2015: Lokale Glaubenssätze und wirtschaftliches Handeln – Kapitalismus als lokalspezifische Lebensform. In S. Münnich, P. Sachweh (Hg.), Kapitalismus als Lebensform? In Vorbereitung.

Baum, H., Esser, K., Kurt J., Schneider, J. 2005: Regionale Entwicklung und der Frankfurter Flughafen. Hans-Böckler-Stiftung: http://www.boeckler.de/pdf/p_edition_hbs_133.pdf (letzter Aufruf 13. März 2015).

Begg, I. 1999: Cities and Competitiveness. Urban Studies, 36. Jg., 795–809.

Behnke, J., Baur, N., Behnke, N. 2006: Empirische Methoden der Politikwissenschaft. Paderborn et al.: Schö-ningh.

Berghoff, H. 1991: Englische Unternehmer 1870–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Berking, H., Schwenk, J. 2011: Hafenstädte. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Blomert, R. 2001: Sociology of Finance. Economic Sociology, 2. Jg., Heft 2, 9–14.

Bonefield, W., Holloway, J. 1991: Post-Fordism and Social Form. London: Macmillan.

Cooke, P. 1989 (Hg.): Localities. London: Unwin Hyman.
Diaz-Bone, R., Thévenot, L. 2010: Die Soziologie der Konventionen. Trivium, 5. Jg.

Diaz-Bone, R. 2007: Qualitätskonventionen in ökonomischen Feldern. In BJS, 17. Jg., Heft 4, 489–509.

Frank, S. 2012: Eigenlogik der Städte. In F. Eckhardt (Hg.), Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden: VS, 289–310.

Frank, S., Gehring, P., Griem, J., Haus, M. 2014 (Hg.): Städte unterscheiden lernen. Frankfurt am Main, New York: Campus.
Hall, P. A., Soskice, D. 2001: Varieties of Capitalism. Oxford: University Press.

Harvey, D. 1978: The Urban Process under Capitalism. International Journal of Urban and Regional Research, 2. Jg.

Häußermann, H., Kronauer, M., Siebel, W. 2004: An den Rändern der Städte. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Heidenreich, M. 2003: Territoriale Ungleichheiten in der erweiterten EU. KZfSS, 55. Jg., Heft 1, 31–58.

Heidenreich, M., Baur, N. 2015: Locations of Corporate Headquarters in Europe. In S. Lundan (Hg.), Transna-tional Corporations and Transnational Governance. Basingstoke: Palgrave, 177–207.

Hering, L. 2012: Wirtschaft und Stadt. Analyse der Eigenlogik der Stadt anhand wirtschaftlicher Entwicklung. Diplomarbeit an der TU Berlin.

Hering, L., Schmidt, R. J. 2015. Einzelfallanalyse. In N. Baur, J. Blasius (Hg.), Handbuch Methoden der empiri-schen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer, 529–542.

Herlyn, U., Schweitzer, U., Tessin, W., Lettko, B. 1982: Stadt im Wandel. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Hirsch-Kreinsen, H. 2009. Entgrenzung von Unternehmen und Arbeit. In J. Beckert, C. Deutschmann (Hg.), Wirt-schaftssoziologie. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 447–465.

Hollingsworth, J. R., Schmitter, P. C., Streeck, W. 1994 (Hg.): Governing Capitalist Economies. Oxford: Universi-ty Press.

Krätke, S. 1995: Stadt, Raum, Ökonomie. Basel et al.: Birkhäuser.

Krätke, S. 2004: Kreatives Wissen in stadtregionaler Perspektive. In U. Matthiesen (Hg.), Stadtregion und Wis-sen. Opladen: Leske+Budrich, 93–107.

Krugman, P. 1998: What’s New About the New Economic Geography? Oxford Reviw of Econmic Policy, 14 Jg., 7–17.

Kuder, T. 2009: Pfadanalysen. In M. Kühn, H. Liebmann (Hg.), Regenerierung der Städte. Wiesbaden: VS.

Lange, B. 2007: Konzeptionalisierung von »Markt« als Gegenstand der Neuen Kulturgeographie. In C. Berndt, R. Pütz (Hg.), Kulturelle Geographien. Bielefeld: transcript, 259–288.

Massey, D. 1995: Spatial Divisions of Labour. London et al.: Macmillan.
Massey, D, Meegan, R. 1982: The Anatomy of Job Loss. London, New York: Methuen.

Rosa, H. 2005: Beschleunigung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Spitzer, H. 1991: Raumnutzungslehre. Stuttgart: Ulmer.

Stadt Dortmund 2015 (Hg.): Wirtschaftsstandort Dortmund,
http://www.dortmund.de/de/wirtschaft/start_ws/index.html (letzter Aufruf 10. März 2015).

Taylor, I., Evans, K., Fraser, P. 1996: A Tale of Two Cities. London, New York: Routledge.

Windeler, A. 2001. Unternehmungsnetzwerke. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Zhang, W.-B. 2002: An Economic Theory of Cities. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.

Downloads

Published

2015-12-23

Issue

Section

Ad-hoc: Die Soziologie der Kritik, der Rechtfertigung und der Konventionen