Methodische Herausforderungen der quantitativen und qualitativen Datenerhebung bei Geflüchteten
Schlagworte:
Migration, FlüchtlingeAbstract
Mit der Zunahme an Geflüchteten in Deutschland geht ein erhöhtes Bedürfnis nach empiri-schen Daten zu den angekommenen Menschen einher. Eine valide Datengrundlage ist Vo-raussetzung zu einem besseren Verständnis über Beweggründe, soziostrukturelle Voraus-setzungen und Einstellungen der Geflüchteten und kann dazu beitragen, eine Integration in die Aufnahmegesellschaft an die Bedürfnisse und Kompetenzen der Flüchtlinge anzupassen. Des Weiteren können nach wissenschaftlichen Kriterien erhobene Daten zu einem Abbau von gesellschaftlichen Vorurteilen führen.
Hieraus ergibt sich die Herausforderung, Instrumente zu entwickeln, um empirische Daten unter erschwerten Bedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu erheben. Aufgrund der aktuellen, teils unklaren Datenlage über Asylsuchende in Deutschland gibt es keine Aus-wahlgrundlage für eine bundesweite Zufallsstichprobe. Traumatische Erfahrungen in der Hei-mat und auf der Fluchtroute, beengte Unterbringung in Unterkünften sowie unsichere Zu-kunftsaussichten erfordern einen sensiblen Umgang mit den Befragten. Des Weiteren lässt sich eine relativ hohe Zahl an Analphabeten, eine große sprachliche Vielfalt und unterschied-liche Wertvorstellungen unter den Geflüchteten vermuten, was innovative Strategien erfor-dert, um valide Daten zu erheben.
Der Beitrag basiert auf Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt „Asylsuchende in Bayern“, einer Pilotstudie, die von der Hanns-Seidel Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Die Studie hat zum Ziel, in Bayern lebende Flüchtlinge in Bezug auf Erfahrungen, Einstellungen und Bleibe-absichten zu beschreiben und zu charakterisieren. Eine standardisierte Befragung erhebt Werteorientierung, Religiosität und Bleibeabsichten von 780 Asylsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und dem Irak in Nürnberg und dem Münchner Umland. In persönlich-mündlichen Interviews werden zudem 12 exemplarische Biographien erhoben. Die Rekrutierung der Teilnehmer basiert auf einem Gatekeeper-Ansatz.
Im Rahmen des Beitrags werden insbesondere methodische Aspekte der Stichprobenziehung und Erfahrungen aus der Datenerhebung in Flüchtlingsunterkünften diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Diskussion der Bedeutung von Übersetzung, Dolmetschen und Sprachmittlung in allen Phasen der Erhebung sowie von Effekten sozialer Erwünschtheit oder der Kulturabhängigkeit des Antwortverhaltens.
Literaturhinweise
Brücker, H., Fendel, T., Kunert, A., Mangold, U., Siegert, M., Schupp, J. 2016b: Geflüchtete Menschen in Deutschland: Warum sie kommen, was sie mitbringen und welche Erfahrungen sie machen. IAB Kurzbericht, 15/2016. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB.
Brücker, H., Rother, N., Schupp, J. (Hg.) 2016: Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
BAMF. 2015: Sehr hoher Asylzugang im September. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2015/20151007-asylgeschaeftsstatistik-september.html (letzter Aufruf 15. Dezember 2016).
BAMF. 2016a: Migrationsbericht 2015. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
BAMF. 2016b: Das Bundesamt in Zahlen 2015. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Bundesministerium des Innern 2016: 890.000 Asylsuchende im Jahr 2015. Pressemitteilung 30.09.2016, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/09/asylsuchende-2015.html (letzter Aufruf 14. Oktober 2016).
Creswell, J. 2003: Research design. Thousand Oaks: Sage Publications.
Denzin, N., Lincoln, Y. 1998: Entering the field of qualitative research. In N. Denzin, Y. Lincoln (eds.), Strategies of qualitative inquiry. Thousand Oaks: Sage Publications, 1–34.
Fuchs-Heinritz, W. 2009: Biographische Forschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Haug, S., Currle, E., Lochner, S., Huber, D., Altenbuchner, A. 2017: Asylsuchende in Bayern. München: Hanns-Seidel-Stiftung (in Vorbereitung).
Haug, S., Müssig S., Stichs, A. 2009: Muslimisches Leben in Deutschland. Forschungsbericht, Nr. 6. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Haug, S., Vernim, M. 2015: Telefonische Befragung. Methodenbericht. Der Einfluss sozialer Netzwerke auf den Wissenstransfer am Beispiel der Reproduktionsmedizin (NeWiRe). Arbeitspapier, Nr. 2.01. Regensburg: Ostbayrische Technische Hochschule, https://www.oth-regensburg.de/fileadmin/media/fakultaeten/s/forschung_projekte/IST/newire/NeWiRe_2.01_Methodenbericht_Telefonbefragung.pdf (letzter Aufruf 03. Januar 2017).
Haug, S., Vernim, M., Gelfert, V., Reindl, A. 2014: Integrationsbericht und Integrationskonzept für Regensburg. Abschlussbericht. Regensburg: Ostbayrische Technische Hochschule.
Helfferich, C. 2011: Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Hugman, R., Pittaway, E., Bartolomei, L. 2011: When ‘do no harm’ is not enough: The ethics of research with refugees and other vulnerable groups. British Journal of Social Work, Vol. 41, Issue 7, 1271–1287.
Humpert, A., Schneiderheinze, K. 2002: Stichprobenziehung für telefonische Zuwandererbefragungen /innen Erfahrungen und neue Ansätze. In S. Gabler, S. Häder (Hg.), Telefonstichproben – Methodische Innovationen und Anwendungen in Deutschland. Münster: Waxmann, 187–208.
Jacobsen, K., Landau, L. 2013: The dual imperative in refugee research: Some methodological and ethical considerations in social science research on forced migration. Disasters, Vol. 27, Issue 3, 185–206.
Johannsson, S. 2016: Was wir über Flüchtlinge (nicht) wissen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur Lebenssituation von Flüchtlingen in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Robert Bosch Stiftung und des SVR-Forschungsbereichs. Berlin: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration SVR, http://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2016/01/Was-wir-%C3%BCber-Fl%C3%BCchtlinge-nicht-wissen.pdf (letzter Aufruf 11. August 2016).
Marshall, M. 1996: Sampling for qualitative research. Family Practice, Vol. 13, No. 6, 522–526.
Merkens, H. 1997: Stichproben bei qualitativen Studien. In B. Friebertshäuser, A. Prengel (Hg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. München: Juventa, 97–106.
Rich, A. 2016: Asylantragsteller in Deutschland im Jahr 2015. Sozialstruktur, Qualifikationsniveau und Berufstätigkeit. Kurzanalysen, Ausgabe 3/2016, Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Kurzanalysen/kurzanalyse3_sozial-komponenten.pdf?__blob=publicationFile (letzter Aufruf 03.01.2017).
Rosenthal, G. 2004: Biographical research. In C. Seale, G. Gobo, J. Gubrium, D. Silverman (eds.), Qualitative research practice. London: Sage Publications, 48–64.
Schnell, R., Hill, P., Esser, E. 2013: Methoden der empirischen Sozialforschung. 10. Auflage. München: Oldenbourg.
Schnell, R., Gramlich, T., Bachteler, T., Reiher, J., Trappmann, M., Smid, M., Becher, I. 2013: Ein neues Verfahren für namensbasierte Zufallsstichproben von Migranten. MDA: Methoden – Daten – Analysen, 7 Jg., Heft 1, 5–33.
Worbs, S., Bund, E., Böhm, A. 2016: Asyl - und dann? Die Lebenssituation von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen in Deutschland. BAMF-Flüchtlingsstudie 2014. Forschungsbericht, Nr. 28. Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Downloads
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Beiträge im Verhandlungsband des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie werden unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International (CC BY-NC 4.0)" veröffentlicht.
Dritte dürfen die Beiträge:
-
Teilen: in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten
-
Bearbeiten: remixen, verändern und darauf aufbauen
unter folgenden Bedinungen:
-
Namensnennung: Dritte müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden
-
Nicht kommerziell: Dritte dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen