Prozesse ‚erwartungswidriger‘ aufsteigender Schulkarrieren – Befunde eines schülerbiografischen Längsschnitts
Schlagworte:
Bildungsungleichheit, Schülerbiografie, Schulkarriereverläufe, soziale Aufsteiger/-innen, SchulübergängeAbstract
Im Fokus stehen aufsteigende Schulkarrieren von Hauptschüler/-innen, die an der Hauptschule über die Entkopplungsmöglichkeit von Schulabschluss und besuchter Schulform die mittlere Schulreife erwerben, mit dem Ziel, anschließend in die gymnasiale Oberstufe überzugehen, um das (Fach-)Abitur zu erwerben. Hierbei handelt es sich um einzelne Schüler/-innen einer niedrigen Schulform, deren Schülerschaft überproportional aus Kindern sozial schwächerer Schichten mit fehlenden elterlichen Bildungsinteressen zusammengesetzt ist. Der eher ‚erwartungswidrige‘ Schulerfolg dieser Hauptschüler/-innen verweist auf ein Phänomen, das sich eher nicht mit der Deutung der Reproduktion des Herkunftsmilieus im Sinne des „kulturellen Erbes“ der Familie (nach Bourdieu) oder als Ergebnis milieubedingter Herkunftseffekte (nach Boudon) erklären lässt. Des Weiteren erscheint diese statistisch überaus kleine Gruppe aufsteigender Hauptschüler/-innen als besonders exponiert und zusätzlich benachteiligt, weil sie eine institutionell eröffnete Bildungschance an einem weitgehend chancenlosen, marginalisierten Bildungsort der - wie Bourdieu formulierte - „intern Ausgegrenzten“ ergreift, der sich durch eine mehrfach bedingte, schlechte Lernatmosphäre auszeichnet.
Dieses selten vorkommende Phänomen einer ‚erwartungswidrigen‘ schulischen Erfolgskarriere bildet den Ausgangspunkt der Studie, die in einem biografischen Längsschnittdesign einzelne aufsteigende Hauptschüler/-innen vor und nach dem Übergang von der Hauptschule in die Oberstufe beobachtet und empirisch die Fragen zu klären versucht: Welche anderen relevanten Ressourcen, Mechanismen und Prozesse lassen sich als ‚Gelingensbedingungen‘ beschreiben, wenn sich der Schulerfolg nicht auf die Ressourcen des Herkunftsmilieus oder auf ein begünstigendes Lernmilieu stützen kann?Literaturhinweise
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