Der Kinderwunsch und das Schwangerschaftserleben von Menschen mit einer „geistigen Behinderung“
Schlagworte:
Inklusion, Narratives Interview, Behinderung, PartizipationsparadoxienAbstract
In der aktuellen fachlichen Diskussion über die Sexualität von Menschen mit einer „geistigen Behinderung“ besteht weitgehend Konsens über die konzeptionellen Grundfiguren der „Selbstbestimmung“ und „Normalisierung“ als Kategorien, an denen sich Professionelle in ihrer Alltagspraxis orientieren sollten (Ortland 2016). Demnach haben auch Menschen mit einer Einschränkung in ihren „kognitiven“ Fähigkeiten ein Recht auf das Erleben ihrer Körperlichkeit und auf die Nähe eines Partners. Spannungsreicher ist dagegen die Situation, wenn es darum geht, sich als Professionelle mit der Äußerung über einen Kinderwunsch oder gar mit der Schwangerschaft einer Frau mit einer „geistigen“ Behinderung auseinanderzusetzen. Auch wenn sich Deutschland durch die Ratifikation der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2009 (Graumann 2011) verpflichtet hat, „das Recht von Menschen mit Behinderungen auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über die Anzahl ihrer Kinder„ (Art. 23) zu gewährleisten, ist die gesellschaftliche bzw. praxisbezogene Haltung diesbezüglich noch von unübersehbaren Ambivalenzen geprägt (Michel et al. 2010). Hier spielen Erwägungen über das „Wohl“ des Kindes (Booth et al. 2005) und eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den Elternkompetenzen dieses Personenkreises eine wichtigere Rolle, auch wenn Studien solch eine „presumption of incompetence“ kritisch betrachten (Booth, Booth 1996). Gleichzeitig lassen quantitative Untersuchungen erkennen, dass die Zahl der Menschen mit einer geistigen Behinderung, die zusammen mit einem Kind leben, in den letzten Jahren stetig gestiegen ist (Pixa-Kettner 2007). Auch weiß man sehr wenig über die Lebensführung und die alltäglichen Problemstellungen dieses Personenkreises.
Das Erleben der Schwangerschaft von Frauen mit einer sog. „geistigen Behinderung“ näher zu betrachten, bietet eine Möglichkeit, die Ambivalenzen einer Gesellschaft sichtbar werden zu lassen, die, während sie „Inklusion“ und „Partizipation“ als zentrale Leitmaximen thematisiert, gleichzeitig deren Grenzen einseitig definiert und somit biographische Ausschlusserfahrungen begünstigt.
Bei der Diskussion dieses Themenkomplexes werde ich in meinem Beitrag zuerst auf ein Familieninterview aus dem Korpus der Daten Bezug nehmen, die meinem Promotionsprojekt zugrunde liegt. Dadurch sollte dem Leser ein Einblick in die kommunikative Auseinandersetzung eines Ehepaares mit dem Kinderwunsch des eigenen Sohnes mit geistiger Behinderung ermöglicht werden. Im Anschluss daran werde ich exemplarisch Ausschnitte aus einem autobiographisch-narrativen Interview mit einer Mutter mit geistiger Behinderung präsentieren und narrativ-strukturell analysieren.
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