Öffnung und Schließung von Innovationsprozessen in Open Source Projekten mit Unternehmensbeteiligung
Schlagworte:
Open Source Projekt, kollaborative Innovationen, Community, Unternehmensbeteiligung, offener Wissensaustausch, gemeinschaftliche Koordinationsmechanismen,Abstract
In der Softwarebranche hat sich seit den 90er Jahren in Projekten der Open Source Softwareentwicklung (OSS) eine besondere Form gemeinschaftlicher Softwareproduktion etabliert, die zunehmend auch von Unternehmen strategisch eingesetzt bzw. adaptiert wird. Die OSS-Projekte ermöglichen durch die offene und kollektive Form der Wissensproduktion den Austausch zwischen heterogenen und formal unabhängigen Akteuren. Wissensbestände, die traditionell proprietär und auf viele unterschiedliche Akteure verteilt waren, können auf diese Weise zusammengebracht und geteilt werden, um Ressourcen zu bündeln und die Innovationskraft zu steigern. Durch die strategische Beteiligung an offenen, kollaborativen Formen der Wissensproduktion sichern sich Unternehmen den Zugang zu Wissen und Beiträgen externer Entwickler/innen für die Organisation verteilter, offener Innovationsprozesse. Die strategische Beteiligung von Unternehmen erfordert eine zumindest partielle Öffnung der unternehmensinternen Wissensproduktion, intern entwickelte Software wird in das OSS Projekt eingebracht und Mitarbeiter/Innen tauschen ihr Wissen und ihre Entwicklungen offen im Rahmen der OSS Community miteinander aus.
Die strategische Beteiligung von Unternehmen an OSS-Projekten kann durch die Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen zur Stabilisierung der Communities beitragen, gleichzeitig beinhaltet sie jedoch auch ein extern induziertes Risiko der Schließung des offenen kollektiven Innovationsprozesses im Interesse einzelner Unternehmen. Denn durch die strategische Beteiligung von Unternehmen an OSS-Projekten kommen zusätzlich externe Akteure und Interessen mit je eigenen Schließungsmechanismen ins Spiel. Unternehmen stehen als kommerzielle Akteure vor dem Problem, dass sie als Organisationen primär operativ geschlossen sind, und die „Öffnung“ vormals intern organisierter Innovationsprozesse z.T. erhebliche Unsicherheiten aufwirft. Insbesondere sind offene Innovationsprojekte mit OSS-Communities für Unternehmen aufgrund der gemeinschaftlichen Governance der Community nur schwer steuerbar und bei Beteiligung mit eigenen (Personal-)Ressourcen auch riskant. Um diese Risiken zu begrenzen, entwickeln Unternehmen eigene Schließungsmechanismen, um die Wirkung der partiellen Öffnung ihrer Innovationsprozesse zu steuern.
Ausgehend von diesem doppelten Spannungsverhältnis von Öffnung und Schließung wird am Beispiel eines seit mehr als 15 Jahren fortbestehenden Open Source Projektes mit strategischer Beteiligung von Unternehmen analysiert, welcher verschiedenen Mechanismen sich die Community und die beteiligten Unternehmen bedienen, um den Innovationsprozess zu organisieren und zu steuern. Die zentralen Mechanismen von Öffnung und Schließung werden in ihrer Wechselwirkung herausgearbeitet und die daraus resultierenden Aushandlungsprozesse analysiert, in denen die Akteure das Spannungsverhältnis ausbalancieren und produktiv anwenden. Entscheidend ist die kollektive Handlungsfähigkeit der Community als eigenständiger Organisationsform, die durch Institutionalisierung und soziale Strukturierung ermöglicht wird. Darüber hinaus trägt auch die Bereitstellung von Personalressourcen und offenen Entwicklungsbeiträgen der strategisch involvierten Unternehmen zur Stabilisierung bei. Jede dieser Stabilisierungsmechanismen birgt gleichzeitig Schließungsrisiken, die von den Akteuren aktiv bearbeitet und ausbalanciert werden. Die Besonderheit dieser Konstellation besteht darin, dass der Balanceakt ganz wesentlich von den Entwickler/innen selbst in ihrer Doppelrolle übernommen wird. Doch auch die Unternehmensführung leistet ihren Beitrag zur Balance, indem sie im Unternehmen entwickelte Beiträge für das OSS Projekt öffnet und den Mitarbeiter/innen Spielräume für selbstorganisierte Aktivitäten für und in der Community einräumt.
Diese Art des Umgangs mit dem Spannungsverhältnis macht den Balanceakt kompliziert und tangiert nahezu alle Aktivitäten der Akteure, im Gegenzug bietet sie Schutzmechanismen vor Alleingängen und dem Versuch einzelner Unternehmen die Steuerung des Projektes zu dominieren und die grundsätzliche Offenheit des Entwicklungsprozesses auszuschalten. Die gemeinschaftlichen Steuerungsmechanismen der OSS Community mit ihren kollektiven Handlungsorientierungen scheinen in besonderer Weise geeignet das Gesamtinteresse des Projektes gegenüber den Einzelinteressen von Unternehmen in den Vordergrund zu rücken. Anders als in herkömmlichen Unternehmensnetzwerken bezieht die Steuerung explizit die operative Ebene der Entwickler/innen in die Steuerung des Innovationsprozesses mit ein. Die Steuerung mittels gemeinschaftlicher Mechanismen impliziert allerdings nicht - wie von den frühen OSS Protogonisten und auch in der wissenschaftlichen Debatte erwartet - dass sich mit der OSS Produktion eine Alternative zu kapitalistischer Produktionsweise etabliert, vielmehr etabliert sich - so unsere These - in diesem Bereich der IT-Branche eine gemeinschaftliche Organisationsform für die Koordination überbetrieblicher kollaborativer Innovations- und Produktionsprozesse.
Die Herausforderung für OSS-Projekte, aber auch für eine kritische Bestandsaufnahme aus soziologischer Perspektive liegt aus unserer Sicht darin, dieses (notwendige) Spannungsverhältnis offen zu legen und die Möglichkeiten des Ausbalancierens aufzuzeigen. Es zeigt sich, dass dabei weder die gemeinschaftliche Governance der Community durch die Unternehmen außer Kraft gesetzt werden muss, noch die beteiligten Unternehmen der OSS-Community machtlos ausgeliefert sind.
Literaturhinweise
Chesbrough, H. W. 2003: Open innovation: The new imperative for creating and profiting from technology. Boston, MA: Harvard Business School Press.
Dahlander, L., Magnusson, M. G. 2005: Relationships between open source software companies and communities: Observations from Nordic firms. Research Policy, Vol. 34, Issue 4, 481–493.
Dolata, U., Schrape, J.-F. 2014: Kollektives Handeln im Internet. Eine akteurtheoretische Fundierung. Berliner Journal für Soziologie, 24. Jg., Heft 1, 5–30.
Heidenreich, M., Matthes, J., Kädtler, J. 2017: Kollaborative Innovationen. Die innerbetriebliche Nutzung externer Wissensbestände in vernetzten Entwicklungsprozessen. Abschlussbericht. Oldenburger Studien zur Europäisierung und zur transnationalen Regulierung, Nr. 25/2016. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, https://www.unioldenburg.de/fileadmin/user_upload/sowi/ag/cetro/download/25_2016_Heidenreich_Kaedtler_Mattes.pdf (letzter Aufruf 06. Januar 2017).
Henkel, J. 2014: Champions of revealing: The role of open source developers in commercial firms. Industrial and Corporate Change, Vol. 18, Issue 3, 435–471.
O'Mahony, S. 2007: The governance of open source initiatives: What does it mean to be community managed? Journal of Management & Governance, Vol. 11, Issue 2, 139–150.
O’Mahony, S., Lakhani, K. R. 2011: Organizations in the shadow of communities. In C. Marquis, M. Lounsbury, R. Greenwood (eds.), Communities and Organizations. Bingley: Emerald Group. Harvard Business School Working Paper, No. 11–131, http://ssrn.com/abstract=1873989 (letzter Aufruf 05.01.2017).
Schrape, J.-F. 2016: Open Source Softwareprojekte zwischen Passion und Kalkül. Glückstadt: Hülsbusch. SOI Discussion Paper, Nr. 2015–02. Stuttgart: Universität Stuttgart, http://www.uni-stuttgart.de/soz/oi/publikationen/soi_2015_2_Schrape_Open_ Source_Softwareprojekte_zwischen_Passion_und_Kalkuel.pdf (letzter Aufruf 05.01.2017).
von Krogh, G. 2011: Knowledge sharing in organizations: The role of communities. In M. Easterby-Smith, M. Lyles (eds.), Handbook of Organizational Learning & Knowledge Management. West Sussex: Wiley, 403–433.
West, J., Gallagher, S. 2006: Challenges of open innovation: The paradox of firm investment in open-source software. R&D Management, Vol. 36, Issue 3, 319–331.
West, J., Lakhani, K. R. 2008: Getting clear about communities in open innovation. Industry and Innovation, Vol. 15, Issue 2, 223–231. DOI: 10.1080/13662710802033734
West, J., O'Mahony, S. 2008: The role of participation architecture in growing sponsored open source communities. Industry and Innovation, Vol. 15, Issue 2, 145–168.
Downloads
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Beiträge im Verhandlungsband des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie werden unter der Creative Commons Lizenz "Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International (CC BY-NC 4.0)" veröffentlicht.
Dritte dürfen die Beiträge:
-
Teilen: in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten
-
Bearbeiten: remixen, verändern und darauf aufbauen
unter folgenden Bedinungen:
-
Namensnennung: Dritte müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden
-
Nicht kommerziell: Dritte dürfen das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen