Verfassungsanalyse als (rechts-)kulturvergleichende Methode: Theoretische Perspektiven und das Beispiel der polnischen Verfassungskrise

Autor/innen

  • Daniel Witte Käte Hamburger Kolleg "Recht als Kultur" | Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • Marta Bucholc Käte Hamburger Kolleg "Recht als Kultur" Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Schlagworte:

Rechtssoziologie, Soziologie der Verfassung, Verfassungskulturen, Rechtskulturen, Polen, Verfassungskrise

Abstract

Verfassungen stellen „Grundordnungen“ nicht nur politischer Verbände, sondern auch allgemein von Gesellschaften dar. Sie bestimmen den Zuschnitt und die Kompetenzen staatlicher Organe in gewaltenteiligen Arrangements, limitieren Macht und politische Herrschaft und stellen dem gewöhnlichen Recht einen Maßstab seiner eigenen Rechtmäßigkeit zur Seite. Darüber hinaus ziehen Verfassungen die Grenzen zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen und schreiben deren grundsätzliche Verhältnisse zueinander fest. Über die Grundrechtskataloge sind fundamentale Werte und Normen von Rechtskulturen mit variierenden Gewichtungen in Verfassungen eingeschrieben und u. a. in Präambeln gerinnen Gründungsmythen und Identitätsnarrationen. Aufgrund ihres Vorrangs gegenüber anderen positivrechtlichen Regelungen und ihres Anspruchs auf dauerhafte Geltung kommt Verfassungen schließlich auch in Fragen sozialen Wandels eine besondere Relevanz zu, die unter dem Stichwort expliziten und impliziten Verfassungswandels kontrovers diskutiert wird und wiederum auf die Einbettung von Verfassungsgerichtsbarkeiten in unterschiedlichste Machtbalancen verweist.

Der Beitrag skizziert mögliche Ansatzpunkte einer soziologisch interessierten Verfassungsanalyse und fragt nach den analytischen Potenzialen, die sich hieraus für gesellschafts- und kulturvergleichende Fragestellungen ergeben. Zu diesem Zweck wird ein analytisches Raster für die Verfassungssoziologie skizziert und auf das Beispiel der polnischen Verfassungskrise 2015/16 angewendet. In der Debatte über diese Krise um Auslegung und Anwendung der Verfassung von 1997 wird das Recht häufig eher als ein Epiphänomen politischer Verhältnisse dargestellt, eher als ein Prätext denn als Gegenstand landesweiter Konflikte. Gegenüber dieser Deutung wird die gegenwärtige Krise hier als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses analysiert, in dessen Rahmen sich ein für die polnische Gesellschaft typisches Rechtsverständnis sowie eine diskursive Situation entwickeln konnte, in der die Verfassung zum Fokalpunkt politischer und gesellschaftlicher Konflikte avancierte. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick zu den komparativen Potenzialen einer soziologischen Analyse von Verfassungskulturen.

 

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Veröffentlicht

2017-09-24

Ausgabe

Rubrik

Sektion Kultursoziologie: Rechtskulturen