Besseres Nichtwissen. Die offene Gesellschaft und ihre Expertenintellektuellen

Autor/innen

  • Alexander Bogner Österreichische Akademie der Wissenschaften

Abstract

Die Soziologie hat sich seit jeher durch die Sozialfiguren des Intellektuellen und des Experten fasziniert gezeigt, wobei man oft von einem Antagonismus zwischen diesen beiden ›Aristokratien des Geistes‹ (Gehlen) ausging. In jüngerer Zeit sind Intellektuellen und Experten – als moderne Exponenten besseren Wissens – durch vielfältige Prozesse unter Druck geraten. Die Pluralisierung von Kritik und das ›Ende der Utopie‹, Spezialisie­rung und die zunehmende Bürokratisierung der Universität, konkurrierende Expertise und die Öffnung der Wissenschaft für Partizipationsansprüche aus der Zivilgesellschaft verweisen auf die Grenzen einer charismatischen bzw. autoritativen Wissenspolitik. Im Zeitalter des ›Jedermann-Experten‹ und der ›virtuellen Schwarm-Intellektuellen‹ lässt sich der Anspruch auf besseres Wissen nur reflexiv und dialogisch begründen – über die Thematisierung seiner Grenzen und Unsicherheiten, über die Darstellung verbleibenden Nichtwissens und fortbestehenden Dissenses, im Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und im Kollektiv. Damit nähern sich die Kompetenz- und Anforderungsprofile von Experten und Intellektuellen einander an. Es ist die Stunde des Expertenintellektuellen.

Literaturhinweise

Bauman, Z. 1987: Legislators and interpreters. On modernity, postmodernity and intellectuals. Cambridge: Polity Press.
Benda, J. [1927] 1988: Der Verrat der Intellektuellen. Frankfurt am Main: Fischer.
Bogner, A. 2011: Die Ethisierung von Technikkonflikten. Studien zum Geltungswandel des Dissenses. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Carrier, M. 2007: Engagement und Expertise: Die Intellektuellen im Umbruch. In M. Carrier, J. Roggenhofer (Hg.), Wandel oder Niedergang? Die Rolle der Intellektuellen in der Wissensgesellschaft. Bielefeld: transcript.
Coser, L. A. 1965: Men of ideas. A sociologist’s view. New York: Free Press.
Foucault, M. 2003: Die politische Funktion des Intellektuellen. In M. Foucault (Hg.), Schriften. Dritter Band. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 145–152.
Furedi, F. 2005: Where have all the intellectuals gone? London: Continuum.
Gehlen, A. 1978: Die Chancen der Intellektuellen. In A. Gehlen (Hg.), Einblicke. Gesamtausgabe, Band 7. Frankfurt am Main: Klostermann, 267–278.
Gouldner, A. 1980: Die Intelligenz als neue Klasse. 16 Thesen zur Zukunft der Intellektuellen und der technischen Intelligenz. Frankfurt am Main u.a.: Campus.
Honneth, A. 2002: Idiosynkrasie als Erkenntnismittel. Gesellschaftskritik im Zeitalter des normalisierten Intellektuellen. In H. Münkler, M. Llanque, C. K. Stepina (Hg.), Der demokratische Nationalstaat in den Zeiten der Globalisierung. Politische Leitideen für das 21. Jahrhundert. Berlin: Akademie Verlag, 241–252.
Jacoby, R. 1987: The last intellectuals. American culture in the age of academe. New York: Basic Books.
Lepsius, M. R. 1990: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen. In M. R. Lepsius (Hg.), Interessen, Ideen und Institutionen. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Lyotard, J.-F. [1983] 2007: Grabmal des Intellektuellen. Wien: Passagen.
Mannheim, K. [1929] 1995: Ideologie und Utopie. Frankfurt am Main: Klostermann.
Moebius, S. 2010: Der Medienintellektuelle. In S. Moebius, M. Schroer (Hg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Parsons, T. 1959: Comment on "American intellectuals: Their politics and status". Daedalus, Vol. 88, No. 3, 493–495.
Pielke, R. A. 2007: The honest broker. Making sense of science in policy and politics. Cambridge: Cambridge University Press.
Schumpeter, J. A. [1942] 1993: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Stuttgart: UTB.
Schüttemeyer, S. S. 2009: Deparliamentarisation: How severely is the German Bundestag affected? German Politics, Vol. 18, No. 1, 1–11.
Schütz, A. 1972: Der gut informierte Bürger – Ein Versuch über die soziale Verteilung des Wissens. In A. Brodersen (Hg.), Alfred Schütz: Gesammelte Aufsätze, Band 2. Den Haag: Nijhoff.
Van der Sluijs, J. P. 2012: Uncertainty and dissent in climate risk assessment: A post-normal perspective. Nature and Culture, Vol. 7, Issue 2, 174–195.
Vobruba, G. 2009: Die Gesellschaft der Leute. Kritik und Gestaltung der sozialen Verhältnisse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Yohe, G., Oppenheimer, M. 2011: Evaluation, characterization, and communication of uncertainty by the intergovernmental panel on climate change – an introductory essay. Climatic Change, Vol. 108, Issue 4, 629–639.

Downloads

Veröffentlicht

2017-09-12

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: ›Besseres Wissen‹ zwischen Abgrenzung und Öffnung