Biologisierungs- und Sozialisierungsprozesse am Beispiel von Frühgeborenen. Ein Zwischenbericht über die soziale und biologische Beeinflussung individueller Entwicklungs- und Bildungsverläufe in entwicklungspsychologisch-bildungssoziologischer Perspektive

Autor/innen

  • Roman Langer Johannes Kepler University Linz School of Education Abteilung für Bildungsforschung
  • Gabriela Barbara Gartmann Otto-Friedrich-Universität Bamberg Institut für Psychologie

Schlagworte:

Frühgeburt, Bildungsungleichheit, Interdisziplinarität, Bildungskarrieren

Abstract

Die Analyse der Bildungskarrieren und Entwicklungsverläufe Frühgeborener bietet sich an, um zu prüfen, inwieweit Befunde der Bildungs(ungleichheits)forschung einerseits durch die Forschung zu Frühgeborenen bestätigt, ergänzt oder modifiziert werden, und inwieweit andererseits jene Befunde die der Frühgeborenenforschung inspirieren, ergänzen und erhellen können – denn Frühgeborene werden hinsichtlich ihrer Bildungskarrieren eindeutig benachteiligt. Da Frühgeborene zahlreich und quer durch alle gesellschaftlichen Milieus und Schichten (wenn auch nicht in gleichem Ausmaß) anzutreffen und dennoch bisher in der Bildungsforschung „unbekannte Wesen“ geblieben sind, kann eine solche Analyse prüfen, inwieweit Mechanismen der (Re-)Produktion von Bildungsungleichheit womöglich komplexer und stärker in andere gesellschaftlichen Regeln und Mechanismen eingebettet sein können als bislang angenommen – das heißt, ob das Ausmaß ihrer Verbreitung, Unbemerktheit und „Härte“ vielleicht größer ist als angenommen. Wird diese Analyse interdisziplinär durchgeführt, so wäre es vielleicht möglich, genauer zu studieren, wie biologische und soziale Einflussfaktoren zusammen-, wechsel- und gegeneinander wirken, durch welche konkreten Praktiken sie Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Frühgeborenen beeinflussen und wie gesellschaftliche Makroverhältnisse, institutionelle Meso-Regelungsstrukturen und interaktionale Mikropraktiken dabei ineinander greifen. Im vorliegenden Beitrag diskutieren wir diese Fragestellungen unter dem Gesichtspunkt von Diagnosen, die sozial verursachte Hemmungen der Entwicklung und Bildung Frühgeborener entweder fälschlich auf biologische Ursachen zurückführen (dies bezeichnet der Begriff „Biologisierung“ im Titel unseres Beitrags) oder, anders herum, biologische Ursachen verkennen und fälschlicherweise sozialen Ursachen zuschreiben („Sozialisierung“ im Titel).

Autor/innen-Biografie

Roman Langer, Johannes Kepler University Linz School of Education Abteilung für Bildungsforschung

Abteilung für Bildungsforschung, Arbeitsbereich Schule und Gesellschaft

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Veröffentlicht

2017-09-24

Ausgabe

Rubrik

Ad-Hoc: Offene oder geschlossene Disziplin?